Unser Norwegenurlaub 2020
Es empfiehlt sich, den nachfolgenden Blogeintrag in Teilen zu lesen denn er ist etwas lang geraten. Er besteh aus den Nachrichten, den ich damals als eine Art Tagebuch in unsere Whatsapp – Familiengruppe gepostet habe.
11/12/13 September
So unruhig und turbulent wie das Meer uns auf der Überfahrt mit der Fähre begrüßte wurden wir auch von Dänemark empfangen. Schon während der Fahrt durch Deutschland hat unser Vridolin (der Bus) schon ein wenig gemeckert, jedoch waren keine nennenswerten Blessuren im Motorraum erkennbar. Samstagnacht in Dänemark brach heran und mit der zunehmenden Dunkelheit wurden die Geräusche lauter und drängender.
Notgedrungen machten wir ein einhalb Stunden vor unserem eigentlichem Etappenziel eine kurze Rast ab der Tankstelle.
Dort musste Marcel leider feststellen, dass sich das Lager der Lichtmaschine zu feinem Metallstaub zermahlen hatte und kaum mehr etwas davon übrig war.
Die Lichtmaschine hatte zu viel Spiel, der Keilriemen war in Gefahr zu reißen und unsere Laune war ebenso schwarz wie die Nacht um uns herum. Wir hatten nun zwei Möglichkeiten: nach Køge fahren, dass 35 Kilometer entfernt liegt und nach einem Schrottplatz suchen oder das Risiko eingehen weiterzufahren.
Wir entschieden uns für Ersteres. In Køge gibt es zum Glück ein Schrottplatz, der glücklicherweise auch sonntags geöffnet hat.
Die Wartezeit überbrückten wir auf einem schönen Stellplatz direkt am Meer. Das letzte dass wir an diesem Abend taten war der Abschluss einer ADAC Mitgliedschaft.
Dann sind uns die Augen zugefallen.
Am nächsten Morgen stellten wir fest, dass es in Schweden anscheinend sehr schwierig ist, einen Campingplatz zu finden auf dem man ohne Übernachtung duschen kann.
Dreckig und stinkend haben wir Vridolin also zum Schrottplatz begleitet.
Dort sind wir freundlich empfangen worden.
Wir wühlten uns durch Motoren und Lichtmaschinen, so lange, bis wir endlich fündig wurden. Marcel hat Vridolin also mit einer neuen Lichtmaschine glücklich gemacht und ebenso glücklich konnten wir nun endlich weiterfahren. Die Überfahrt nach Schweden verlief kurz und schmerzlos.
Schweden hat uns, im Gegensatz zu Dänemark, ohne neue Überraschungen und mit viel Ruhe begrüßt.
Nun heißt es: fahren, fahren, fahren.
Noch 2010 Kilometer liegen vor uns.
Nach den ersten 300 Kilometern: erster Fahrerwechsel. Vridolin und Janine müssen lernen miteinander auszukommen.
Vom Smart zum schweren Bus, keine einfache Umstellung aber es hat alles gut geklappt.
Das heutige Etappenziel heißt Sundsvall und wird laut Google Maps um 0:44 erreicht sein. Morgen sind dann, wenn alles gut läuft, noch ca.1200 Kilometer zu bewältigen.
Vridolin schlägt sich wacker und wir halten durch.
14. September
Nachdem wir gestern bis zur Erschöpfung gefahren waren und uns in einem Naturreservat in Schweden zur dringend benötigten Nachtruhe niedergelassen hatten ging es heute weiter bis zur norwegischen Grenze.
Die Natur um uns herum, in stetigem Wandel, trieb uns zur Verzweiflung, hat uns überrascht und manchmal sprachlos werden lassen.
Nach der erschöpfenden, fast 12 stündigen Fahrt, hat uns gestern Nacht um zwei das Polarlicht ganz kurz einmal Hallo gesagt, schüchtern, versteckt hinter Wolken. Ein grüner Kleks im Nebel. Einfach nur um zu sagen: hallo, ich bin auch noch wach, das schafft ihr.
Es ist immer wieder überraschend sein Nachtlager bei Tag zu sehen. Heute Morgen nach dem Aufstehen durften wir feststellen, an einem tollen See genächtigt zu haben. Umgeben von Tannen und Blumenkohlbäumen.
Mit jedem Kilometer gen Norden hat uns dann der Herbst mit großen Schritten eingeholt und die Landschaft wurde karger, felsiger und bunter.
In strahlendem Sonnenschein durften wir durch Schwedens Städte fahren aber auch durch viele kleine Dörfer; umgeben von Wald und Wasser mit den typischen roten Holzhäusern im Stadtkern.
Unsere Tour schlängelte sich entlang der Küste durch Schwedens äußersten Rand. Der Wind brachte Vridolin ganz schön ins Schleudern und Marcels Nerven mit mir als ungeübtem Bullifahrer am Steuer gleich mit.
Als wir dann nach rechts Richtung Landesinnere abbogen, bogen wir ab in eine andere, schon fast surreale Welt. Lappland.
Hier wurde der Wald dichter und die Besiedlung lichter. Kaum mehr Häuser und kilometerweite Straßen. Bäume, Bäume und noch mehr Bäume. Das Licht der untergehenden Sonne taucht alles in gräulich rosanes, schon fast lila – pinkes Licht. Der ab und zu auftauchende Nebel leuchtet gelb. Ein Foto wird dem nicht gerecht.
Inzwischen ist die Welt in Dunkelheit getaucht und uns geht langsam, nach über 1000 Kilometern Tagesetappe, die Luft aus. Noch zwei Stunden bis zur Grenze liegen vor uns und wir hoffen darauf, dass die Nacht uns heute ihre Lichter schenkt und die Sonne stürmt.
15. September
Langsam aber stetig haben wir uns gestern Nacht der norwegischen Grenze genähert. Von strahlendem Sonnenschein sind wir in Nebel und feinen Nieselregen hineingefahren. In Björkliden blickte uns die Welt, nur vom Licht der Scheinwerfer beleuchtet, kalt und abweisend entgegen. Bis sich auf einmal grünes Licht den Weg durch die Wolken gesucht und uns für alle hinter uns liegenden Strapazen entschädigt hat.
Das Nordlicht ist am Himmel aufgetaucht, wieder nur sehr schüchtern aber deutlich wahrnehmbar hinter der Wolkendecke. Es hat sogar ganz kurz einmal für uns geflimmert.
Um 0:30 passierten wir die verlassene, menschenleere norwegisch-schwedische Grenze und ließen das Leuchten hinter uns. Hallo Norwegen, wir gehen jetzt schlafen.
Am nächsten Morgen wurden wir von Lkw Lärm geweckt. Es war eine kalte Nacht.
Um uns herum Fels, Geröll und Wasser.
Die Bäume oben im Grenzgebiet sind denen weiter unten im Land jahreszeitlich weit voraus und die Welt wurde mit jedem Kilometer schöner.
Als würde die felsige Mosslandschaft versuchen, der grauen Welt, dem Regen und der Tristesse Farben entgegen zu schreien die der Einöde ihre Schönheit aufzwingen.
Wir erwachten im Herbst.
Die restliche 3 stündige Autofahrt bis zur Huskyfarm verlief ruhig und außer einem Elch im Straßengraben auch ohne weitere Überraschungen.
Marcel hat sich nur gefragt, wo denn der Verkehr geblieben ist. Kulturschock pur also.
Auf der Farm angekommen – natürlich im Regen, begrüßten wir zuallererst die Hunde.
28 mir bekannte Fellschnauzen freuten sich sehr über meine Rückkehr.
Nach der langen Autofahrt wollten wir dann aber heute nicht mehr viel außer einem Bett und etwas zu Essen.
Es ist schon ein wenig seltsam wenn sich der Untergrund auf einmal nicht mehr bewegt und man wieder so viel stehen muss.
Vridolin hat jetzt erstmal Pause und wir sind sehr stolz auf ihn (und Marcel, der ihn fit gemacht hat) dass er uns so viele Kilometer hierher gebracht hat.
16. September
Nachdem wir gestern Abend mit Jiska gemeinsam die Hunde versorgt hatten, begonnen wir den Tag heute mit meditativem Kacke sammeln in den Zwingern. Natürlich nach unserem Waffelfrühstück – mit Brunost und Marmelade, wie es sich in Norwegen gehört.
Da heute, laut Wetterbericht, der einzig regenfreie Tag während unserem Urlaub sein wird, wollten wir diesen nutzen und wandern gehen.
Die Bewölkung lies es leider trotzdem nicht zu auf einen der ganz hohen Berge zu steigen.
Gestern haben wir im Gästebuch vom Gästehaus, in dem wir wohnen, etwas von einem tollen Berg in der Nähe gelesen. Jiska sei Dank fanden wir hierfür in der Wanderapp die passende Route.
Anstatt allerdings, wie geplant, zum Startpunkt zu laufen schnappten wir uns zwei Hunde und die Roller und ließen uns fahren bzw ziehen.
Paul und Cousteau haben ihre Sache sehr gut gemacht und vor lauter Fahrtwind tränten mir ganz schön die Augen.
Also begannen wir um zwei Uhr nachmittags, jeder mit einem Hund am Bauchgurt, den Aufstieg durchs Moor.
Wie das bei norwegischen Wanderwegen so ist mussten wir den Weg erst einmal suchen.
Andøya, unsere Insel, besteht zu 90% aus Moor.
Der Boden unter unseren Füßen gab bei jedem Schritt nach, Mal mehr, Mal weniger. Das Laufen wird hierdurch sehr viel anstrengender denn man muss große Schritte machen. Zusätzlich zieht von vorne noch ein Hund und man muss sich tief in den Bauchgurt hinein lehnen um nicht hinzufallen oder über die eigenen Füße zu stolpern.
Das Moor hat seine ganz eigene Faszination. Einerseits lockt es mit seinen tollen Farben und seiner undurchdringlichen Weite, andererseits muss man lernen, sich nur von seinen Füßen und dem Instinkt der Hunde leiten zu lassen um nicht in ihm zu versinken.
Es gibt einem Nahrung, wenn man diese zu erkennen weiß. Pilze, Blaubeeren und Preiselbeeren wechseln sich ab mit Flechten und Gras. Der Boden ist weich wie eine Daunendecke und lädt zum Verweilen ein.
Karge, ausgemergelte Bäume ragen Richtung Himmel und krallen sich am Boden fest.
Schritt für Schritt ein Risiko, dass sich zu gehen lohnt.
Die Hunde haben unser Gewicht mitgetragen und so hatten wir relativ schnell den Gipfel erreicht.
Die Aussicht von oben war unbeschreiblich und wir wurden uns darüber bewusst, wie klein unsere Existenz auf dieser Welt ist im Vergleich zur Welt selbst.
Hier oben ist alles still. Nur der Wind pfeift uns eine Melodie.
Der Abstieg wird zur Tortour für unsere Beine denn die Hunde ziehen leider auch hier.
Verstehen nicht, dass wir, mit nur zwei Beinen, im Nachteil sind.
Unten angekommen hatte Cousteau auf einmal keine Kraft mehr, mich zurück auf die Farm zu ziehen.
Jiska hat sich also das Fahhrad geschnappt, ist zu uns gefahren und hat den müden Cousteau übernommen während ich auf dem Fahrrad mit Paul und Marcel im Schlepptau zur Farm geradelt bin um das Auto zu holen.
Cousteau wurde also von mir zur Farm chauffiert.
Leider stellte sich heraus dass er weder essen, noch trinken, noch laufen wollte.
Wir haben ihn nichtsdestotrotz zurück in seinen Zwinger gebracht und hoffen, er erholt sich bis morgen wieder.
Wir sind beide kaputt, müde und froh darüber, jetzt im Bett zu liegen. Wir schließen außerdem Wetten darüber ab, wer morgen wohl den schlimmsten Muskelkater haben wird. Ich denke, Cousteau gewinnt.
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17.September
Obwohl für heute Regen angesagt war hatten wir glücklicherweise viele regenfrei Stunden. Zwei von diesen Stunden mussten wir damit verbringen auf den norwegischen TÜV zu warten da das Farmauto zur EU Kontrolle angemeldet war.
Die Nordnorweger lassen sich Zeit und was bei uns 30 Minuten dauert, dauert hier gut viermal so lange. So nutzen wir die Zeit dazu, am Strand Treibgut zu sammeln. Der Strand lag bei Ebbe vor uns wie ein einladendes Buffet. Für die Möwen, die über uns kreisten war er das bestimmt. Im Sand und Schlick vergraben retteten wir einsame Muscheln davor, an den Klippen zu zerschellen und hinderten ein paar Möwenfedern daran, wegzufliegen.
Leider findet man inzwischen auch hier viel zu viel Müll. Alte Reifen, die sich ineinander stapeln, leere Tubenpasten ohne Etikett bei denen man sich unwillkürlich fragt, was der Inhalt wohl gewesen sein könnte. Rätsel geben einem auch das ein oder andere Stück deformiertes Metall auf.
Leere Seeigel, Gräten und undefinierbare Tierknochen erinnern an die Vergänglichkeit des Lebens und die bedrohliche Tiefe der Meere.
Wir finden außerdem eine Leitplanke und ein weggebrochenes Stück Straße. Es wirkt so, als wolle sich die Natur ein bisschen etwas von dem zurück erobern, was ihr der Mensch genommen hat.
Da der Wind zunimmt beginnt uns die Kälte in die Knochen zu kriechen und wir sind froh, das Auto wieder abholen zu können um unser eigentliches Tagesziel anzusteuern: Andenes
Andenes ist eine Küstenstadt am vordersten Teil der Insel. Es ist bekannt für seine Walsafari auf die wir allerdings bei diesen Wetterbedingungen gerne verzichten.
In Andenes aßen wir zu Mittag und kauften Lebensmittel für die Farm damit Jiska, die keinen Führerschein hat, versorgt ist bis die neuen Helfer kommen.
Der Rückweg zur Farm an der Küstenstraße entlang ist dazu in der Lage, mich jedes Mal aufs Neue zu beeindrucken.
Wir machten Halt am zweiten Strand des Tages, dieses Mal freiwillig. Der Strand von Bleik.. Ein schneeweißer Sandstrand der selbst bei schlechtem Wetter noch wunderschön leuchtet.
Die Luft schmeckt salzig und die Lungen sind dankbar dafür, das Meer atmen zu dürfen. Mit jedem tiefen Atemzug bricht eine Welle und mit jedem Schritt wird der Sand feiner.
Verdorrtes Gras in den Dünen hinter uns zeugt von einem Leben vor Norwegens selbst gewählter Corona Isolation. Entstanden durch Abdrücke von Zelturlaubern, die den Sommer in Norwegen genießen durften. Nun sind nur noch die Schatten übrig, den Rest hat das Meer verschluckt und wenn man die Augen schließt, dann kann man hier und da noch ein fernes Lachen im Echo der See erahnen.
Die Asche der Lagerfeuer ist erkaltet und der Strand menschenleer.
Anstatt einer Walsafari durften wir unsere eigene Seeadler Safari erleben. Am Straßenrand neben einem militärischen Übungsgebiet sahen wir durch Zufall einen Seeadler landen.
Wir stoppten in einer Haltebucht und der Seeadler schwang sich neben uns in die Lüfte. Majestätisch, mit einer Flügelspannweite von mindestens zwei Metern, erhob er sich. Ganz dicht an unserer Frontscheibe vorbei zirkulierte er in Richtung Himmel.
Ein Seeadler fliegt nicht, er gleitet. Er streichelt die Winde und bewegt sich fließend in ihnen und mit ihnen und durch sie fort. Er ist der Wächter des Himmels und er selbst wird ein Teil von ihm sobald er abhebt.
Aus einem Seeadler wurden bald sechs und zwei davon flogen in Eintracht ganz dicht nebeneinander. In einer Umarmung mit der Natur verwoben.
Währenddessen wurde es auf der Erde wieder weltlicher und die Naturbedürfnisse in uns meldeten sich zu Wort. Glücklicherweise war nicht weit entfernt von uns eine öffentliche Toilette. Jedoch eine ganz besondere.
Norwegens hat vor Jahren einmal einen Künstler damit beauftragt, überall im Land mit Zuschüssen in Millionenhöhe Toiletten zu entwerfen und zu bauen. Wir durften heute eine davon besuchen.
Von außen sieht die Toilette aus wie ein Raumschiff aus Beton.
Es durchbricht die Idylle der Küste mit seiner strukturiert dekadenten Hässlichkeit. Von außen und innen ist die Toilette verspiegelt und man kann sich selbst bei der Verrichtung seiner Bedürfnisse zuschauen. Ein sehr seltsames Gefühl.
Doch was von außen hässlich scheint ist von innen oft wunderschön. So ist es auch hier. Die Frontscheibe der Toilette, die in Richtung Meer zeigt, ist aus Milchglas, dass, sobald man die Toilette betritt oder einen Schalter bestätigt, aufklart und den Blick aufs Meer freigibt. Die Aussicht auf dieser Toilette ist wahrscheinlich schöner als auf den Balkonen vieler Reihen – Mittelhäusern dieser Welt.
Mit so vielen Eindrücken und Aussichten im Gepäck fahren wir erschöpft zurück zur Farm. Natürlich nicht, ohne eine Elchfamilie gesehen zu haben, die kurz vor uns über die Straße ins Geäst huscht.
Leider haben wir außerdem den Wind mitgebracht. Heute Nacht und morgen bereitet sich das norwegische Wetter auf den Winter vor.
Es übt sich darin, Ziegel von den Dächern zu blasen und Schneeflocken in Stürme zu verwandeln. Mit bis zu 17 m/s wird es morgen ganz schön stürmisch werden und wir hoffen darauf, dass der Sturm außer Dreck, Staub und schlechter Laune nichts zurück lässt und nichts mitnimmt außer der Motivation, morgen aus dem Haus zu gehen.
18. September
Letzte Nacht hat der Sturm uns wach gehalten. Das Klappern der Fensterläden und der heulende Wind hat uns die Träume gestohlen und uns aus dem Schlaf schrecken lassen. Wieder und wieder.
Aufgrund dessen haben wir den Tag heute hauptsächlich dazu genutzt uns auszuruhen und einfach einmal zu tun wonach uns die Lust stand. Nämlich zu nichts.
Wir saßen im Wohnzimmer und haben der Welt draußen beim Toben zugeschaut. Fast senkrecht peitschender Regen und immer wieder Sturmböen. Die Bäume bogen sich als wöllten sie den Boden küssen und trügen die Last der ganzen Welt auf ihren Schultern.
Trotz des Sturms sind wir dann doch noch einmal aus dem Haus gegangen um die Einladung zum Abendessen von Gerhard anzunehmen. Er ist Freund von Uwe und der Omega 3 Fischöl Lieferant für die Farm, .
Dort erfuhren wir viel über das Leben hier im hohen Norden. Von an der Bushaltestelle stehenden Elchen, white outs nach Feierabend, illegalen Steintransporten von Luxemburg nach Norwegen bis hin zu Traktoreiern.
Nach diesem wenig ereignisreichem aber doch ganz schön anstrengendem Tag mit guter Gesellschaft hoffen wir, der Sturm lässt uns heute Nacht ein wenig Gnade zukommen und bläst nur leise vor sich hin.
19. September
Der Sturm hat sich gestern Nacht vorübergehend zur Ruhe gesetzt und wir haben glücklicherweise gut geschlafen. Heute sind wir früh aufgestanden und nach Nyksund aufgebrochen. 2,5 Stunden für 23 Kilometer Luftlinie. Wir haben in Sortland in einer Bäckerei die Gerhard und empfohlen hat Halt gemacht. Eine Bäckerei ist eine Seltenheit in Norwegen, erst Recht eine, bei der tatsächlich noch selbst gebacken wird. Noch nie habe ich so gute Kanelboller gegessen wie heute Nachmittag. Der weiche Hefeteig zergeht im Mund und hinterlässt Spuren von Zimt und Kardamom. Es schmeckt wie das Gefühl, bei Regenwetter vor dem Kamin zu sitzen und zu lesen.
Dieses Gefühl kann man leider auch sehr gut mit dem Wetter hier in Verbindung bringen. Der Regen hat uns die ganze Fahrt hinweg begleitet und sich mit uns die Küstenstraße entlang geschlängelt die die Berge umarmt, nach Nyksund führt und dort im Meer zugrunde geht.
Die Sonne hat sich zwischendurch durch die schweren, dunklen Regenwolken geschoben und uns vier Regenbögen geschenkt.
Nyksund ist ein kleines, vergessenes Fischerdorf das von Ssemjon und vielen anderen vor über zehn Jahre wieder zum Leben erweckt und in liebevoller Handarbeit restauriert wurde.
Hier schmiegen sich die Häuser dicht an die Felsen und in jede Richtung in die man blickt ist nur der Himmel, das Meer, Berge und das große Nichts. Hier ist die Welt noch in Ordnung und man hat das Gefühl, die Sorgen und Ängste können einem hierher nicht folgen denn zu abgelegen und versteckt ist dieses kleine Dorf mit seinen 25 Einwohnern.
Zu diesen Einwohnern zählt auch eine fast handzahme Möwe namens Ernie.
Ssemjon hat uns ein Zimmer für die Nacht bereitgestellt und so kommen wir von unserem ursprünglichen Plan ab, uns einen Stellplatz bei den Klippen zu suchen. Da wir nicht wissen, wie unberechenbar der Wind heute Nacht sein wird ist das auch besser so.
Die See rund um uns herum tobt und schäumt und zeigt uns, was in ihr steckt. Es ist beeindruckend zu sehen, welche Launen der Meer hat und wie kraftvoll, groß und mächtig es diese zum Ausdruck bringt.
Trotz der Kälte, mittlerweile haben wir nur noch 7 Grad, steht man gerne dort draußen am Pier und schaut dem Meer beim Wüten zu. Beim Betrachten der tosenden Gischt kann man die Stille in sich spüren und kommt unwillkürlich zur Ruhe. Als ob das Meer Alltagssorgen an Felsen zerschellte. Hier kennt man keine Eile und nach einem guten und reichhaltigen Mittagessen fallen wir erschöpft ins Bett.
20. September
Der Sturm wärmt sich nur auf.
Die Nacht in Nyksund war anstrengend und sehr kurz. Der Wind bließ uns ein Lied und das Haus schunkelte dazu im Takt. Das Meer tobt, der Regen peitscht um uns herum als würde es tausend Nadeln regnen. Das Meer flößt einem ganz schön Ehrfurcht ein wenn es wütend ist. Doch genau dann ist es am Schönsten.
Doch das war erst der Anfang.
Der Plan für morgen war, aufzubrechen nach Kolvereid. Auf der Küstenstraße RV17.
Wir bezweifeln jedoch dass die Fähre bei den Aussichten für morgen tatsächlich fahren wird.
Der eigentliche Sturm kommt erst noch. Montag auf Dienstag Nacht werden Geschwindigkeiten von bis zu über 100 km/h erreicht.
Auf dem Rückweg zur Farm haben wir einen kurzen Zwischenstopp bei Jaqueline auf den Lofoten eingelegt.
Es war toll, die Landschaft auf den Lofoten ist unbeschreiblich schön.
Genug der Worte für heute. Mein müder Kopf muss erst wieder Worte tanken.
21. September
Die Sonne scheint uns ins Gesicht als wir die Augen öffnen. Irgendwas ist heute Morgen anders. Es ist das Fehlen des Lärms, das uns irritiert. Es ist einfach nur still und außer unseren tiefen, gleichmäßigen Atemzügen gibt es kein Geräusch. Es gibt keinen Regen mehr, der gegen die Scheiben trommelt und keine klappernden Fensterläden.
Der Sturm ist überstanden.
Aber er hat Schäden hinterlassen.
Zwei Bäume im Hundezwinger sind umgefallen und ein paar Bretter haben sich gelöst. Die Straße bei Mo i Rana stand unter Wasser und war überschwemmt, Nordland war für zwei Tage abgeschnitten und isoliert vom Rest der Welt. Das Wetter hier ist anders als in Deutschland, man nimmt es anders war und man lebt mit ihm, nicht dagegen. Der Mensch orientiert sich am Wetter und man nimmt es einfach hin anstatt dagegen zu protestieren.
Wenn es stürmt dann pausiert das Leben. Es fahren keine Fähren mehr, der Schulbus setzt aus und man bleibt, sofern man kann, einfach zu Hause.
Nachdem wir das Gästehaus geputzt und Vridolin beladen hatten ging die Fahrt endlich weiter. Die Farm verabschiedte uns mit einem Regenbogen um uns aufzuheitern. Schon nach einer halben Stunde mussten wir eine Zwangspause einlegen und uns erneut um Vridolin kümmern da der Kraftstofffilter verschmutzt war. Da wir mit Pflanzenöl fahren hatte Marcel aber in weiser Voraussicht zwei zur Reserve dabei und so war der Schaden schnell behoben.
Auf dem Weg zur Fähre nach Lødingen verändert sich erneut die Landschaft um uns herum. Die Bäume wachsen in die Höhe, die Tannen stehen in Reih und Glied, flankieren die Straße für uns, stehen Spalier. Die ersten Berggipfel sind mit pudrigem Schnee bedeckt und kündigen den Winter an. Sie sehen aus, als hätte sie jemand mit Puderzucker überzogen. Weiß und unschuldig stehen diese Riesen zwischen Wasser und Wald und wachen über uns. Es ist schwer zu sagen, ob das Wasser sich um die Berge schlängelt oder die Berge sich aus ihm erheben,
Kurz vor der Abenddämmerung fahren wir auf die Fähre. Die See ist immer noch rau und wenn die Wellen auf den Bootsrumpf treffen knallt es, als hätten wir gerade einen Wal überfahren und die Gischt spritzt mehrere Meter hoch an Deck.
Das Wasser hat eine unbändige Kraft und man kann, fast wie hypnotisiert, den Blick nicht von ihm anwenden. Aber ab und zu streift er eben doch zum Horizont. Der Himmel in Norwegen ist so weit, so unendlich. Ich glaube, in Norwegen gibt es einfach mehr Himmel.
Wir können vom Deck der Fähre aus die Sonne im Meer versinken sehen. Wie sie sich schüchtern zwischen die Wolken schiebt, die rechts von ihr weiß, flauschig und unschuldig sind und die sich links von ihr zu einer schwarzen Wand auftürmen und die Berge silhouettieren.
Als wir von der Fähre fahren ist die Sonne schon fast untergegangen und taucht erneut alles in dieses spezielle lila Licht.
Mit Einbruch der Dunkelheit passieren wir Tunnel um Tunnel. Wo viele Berge sind, muss der Mensch graben um Straßen zu schaffen. Den Riesen wird ein Loch in den Bauch gesprengt damit wir einfach und schnell die andere Seite erreichen.
Ohne Blut, doch irgendwie grausam.
Die Wasserfälle aus Gletscherwasser fließen an den Bergen hinab wie Tränen. Die Natur weint.
Wir stehen jetzt an einem See und begeben uns zur Ruhe. Wir sind gespannt, was für einen Ausblick Norwegen morgen früh für uns bereit hält. Es ist ein bisschen wie Weihnachten. Nicht zu wissen, was man bekommt aber mit Sicherheit sagen zu können dass es großartig sein wird.
23. September
Gestern auf dem Stellplatz ist uns ein Freiburger begegnet und seitdem sehen wir ständig irgendwelche Deutschen. Sie sind scheinbar tatsächlich überall und es gibt kein Entkommen von ihnen.
Der Wind hat über Nacht wieder zugenommen und wir wurden von Vridolins Schaukeln geweckt. Inzwischen waren wir kurz vor dem Saltstraumen. Wir beschlossen, mit Ausblick auf den Gezeitenstrom zu frühstücken. Gesagt getan.
Es ist schon sehr beeindruckend, wie das Wasser tödliche Kreise zieht, die einen in die Tiefe reißen können. Es wird heute nicht das einzige Mal sein, dass wir uns über die Kraft des Wassers wundern aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Während zwei Seeadler ruhig über uns hinweggleiten genießen wir unser Frühstück. Ausnahmsweise scheint hierbei die Sonne. Ich glaube, die Sonnenstunden während unseres Urlaubs kann man am einer Hand abzählen. Aber was Regen angeht sind wir mittlerweile echte Profis. Wir kennen ihn jetzt in und auswendig in allen seinen Gesichtern. Der starke, monsunartige, Platzregen der einen innerhalb von Sekunden durchnässt und der feine Nieselregen der dasselbe kann, nur viel subtiler. Alles was dazwischen liegt haben wir in den letzten Tagen erlebt.
Wasser ist anscheinend unser Element.
Wir beschließen, das gute Wetter auszunutzen und heute die fv17 entlang zu fahren. Pünktlich zur ersten Fährüberfahrt regnet es – natürlich – wieder und der Wind lässt es sich auch nicht nehmen das Meer mit seinen über 60km/h für uns möglichst ungemütlich werden zu lassen. Eine Stunde nach dem Frühstück erreichen wir trotzdem unser Zwischenziel: den Glomfjord.
Kurz nach dem zweiten Tunnel; hiervon gibt es übrigens sehr viele, der längste den wir heute hatten war über 7 km lang, biegen wir rechts ab um einem Tipp von Gerhard zu folgen.
Die Straße wird enger und schlängelt sich an vielen Wasserfällen vorbei nach oben. Kurze Zeit später stehen wir vor dem Schild: Befahren auf eigene Gefahr, und blicken hinein in ein tiefes schwarzes Loch, das kein Ende zu nehmen scheint. Es ist der Tunnel zum Berggipfel, der eigentlich nur für Baustellenfahrzeuge befahrbar ist. Wir fahren hinein und uns blickt die Finsternis entgegen. Man verliert trotz Fernlicht schnell die Orientierung und erkennt nur anhand der Drehzahl, dass wir uns noch bewegen. Dank Google Maps bekommt man außerdem so eine ungefähre Ahnung, wann der Tunnel endet.
Oben angekommen ist alles still und Norwegen leuchtet in den schönsten Farben, die uns nach der langen Dunkelheit fast blenden.
Überall sind Wasserfälle, die Natur ist orange und gelb, der Herbst verzaubert die Felsen, die rechts und links neben der Straße emporragen. Plötzlich erschrecken wir, als sich ein riesiger Staudamm aus Stein neben uns auftut. Vor dem Staudamm sind geflutete Gruften und schneebedeckte Gletscher.
Je höher wir kommen desto kälter wird es. Wir sind jetzt auf dem Staudamm, über der Schneegrenze und es liegt überall um uns herum verteilt ein wenig Schnee. Der See, den der Damm anstaut, ist türkisblau und riesengroß. Die Felsbrocken auf dem Gipfel sind die Leinwand und das Wasser malt bunte Muster in sie hinein.
Wäre es nicht so windig und kalt gewesen und hätten wir eine gute Kamera gehabt dann würden wir wahrscheinlich heute noch dort stehen. Dankbar für dieses Erlebnis fahren wir durch den Tunnel wieder zurück und unserem Tagesetappenziel entgegen. Ein Campingplatz in Korgen. Zwei schaukelige Fährüberfahrten und abermillionen Regentropfen später sind wir endlich angekommen.
Zum krönenden Abschluss schenkt uns Norwegen noch einmal ein paar schwache Nordlichter.
Mal schauen ob wir ohne Geräusche von Sturm, Wind und Regen überhaupt schlafen können
24. September
Der Campingplatz auf dem wir gestern Abend standen war traumhaft schön. Zwischen Bergen gelegen, über die sich langsam der Nebel schiebt. Mit Wiesen und Wald rechts und Wald und Fluss links von uns. Und das trotz der Nähe zur E6.
Die letzten 5 Stunden Fahrt bis Kolvereid liegen vor uns. Danach erstmal wieder bis Sonntag Abend kein Auto fahren . Eine große Erleichterung für uns.
Die Landschaft verändert sich nun spürbar und was vorher Fels war ist jetzt Wald. Unendlich viel Wald neben dem ein reisender Wildwasserfluss herläuft. Leider nimmt nach ein paar tausend Kilometern dann doch irgendwann unsere Aufnahme und Begeisterungsfähigkeit ab und wir konzentrieren uns auf unser Hörspiel.
Um 16 Uhr kommen wir am Ziel an – Kolvereid.
Kolvereid liegt in einer Senke, umgeben von Wald, direkt an der FV17. Der Fjord ist nur ein paar Meter weit weg. Morgen werden wir uns die Stadt ein wenig näher anschauen.
Der Empfang war warmherzig und das Essen war sehr sehr gut. Es gab selbst gefangenen Dorsch. Das Bett ist super bequem und K., T. und I. sind wirklich lieb und freundlich.
Wir legen uns ins Bett und schlafen lange und gut. Endlich wieder einmal.

25. September
Mir ist heute die Angst in die Knochen gekrochen. Unsere Auswanderungspläne sind hier auf einmal so real und in mir wachsen Sorge und Zweifel. Bei jedem Auswanderer, der mir begegnet ist, ist mir eine Sache aufgefallen: es sind alles Menschen, speziell die Frauen, die unheimlich stark sind, einem die Meinung ins Gewicht sagen können und Auseinandersetzungen nicht scheuen. So jemand bin ich nicht.
Morgen soll ich gemeinsam mit K. einen Frühdienst im Altenheim hospitieren. Ich bin nervös und gespannt zugleich.
Von meinen Gedanken abgelenkt hat mich heute lediglich ein Einkaufsbummeln im Nachbarort Rørvik und das Fernsehprogramm.
Endlich einmal ausruhen, nichts tun und versuchen, möglichst nichts zu denken.
Ich muss früher ins Bett als sonst denn morgen geht´s früh raus.
Ich bin gespannt.
26. September
Ich hatte schon wieder ganz vergessen, wie schrecklich es ist um sechs Uhr aufzustehen. Heute hat K. mich mit auf die Arbeit mitgenommen. Hier läuft tatsächlich alles weitaus entspannter ab als in Deutschland. Verstanden hab ich leider nur kein Wort.
Nach dem Frühdienst waren wir dann noch beim Ferienhaus von K. und T. da die Sonne schien. Ein wunderschönes, kleines Holzhäuschen versteckt im Wald zwischen kleinen Fichten und Moor mit Blick auf den Fjord. Ein Ort zum Verweilen.
Leider hatten wir nur kurz Zeit dazu die Aussicht zu genießen. Die Tage sind einfach zu kurz.
Abends gab es dann Burger und als I. im Bett war haben wir versucht Marcel Discofox tanzen beizubringen. Außerdem kann ich jetzt den Linedance Grundschritt. Den sollte man hier, laut K. und T., auch kennen denn die Norweger stehen wohl sehr auf Countrymusik.
Der Tag hat, obwohl er so früh angefangen hat, erst um ein Uhr nachts geendet weswegen ich auch einfach zu müde dazu bin, um noch viel zu schreiben.
27 - 29. September
Vorgestern sind wir in Steinkjer angekommen. Der Abschied von K., T. und I. und Kolvereid war schwer aber wir freuten uns auch auf Lea. I. hat uns zum Abschied einen ganz kleinen Elch geschenkt der einen Ehrenplatz auf unserer Amatur bekommen wird.
Mit der Fähre sind wir von Kolvereid aus nach Salsbruket gefahren. Ein Klassenkamerad von I., auch ein Auswanderer, wohnt dort. Um von dort nach Kolvereid aufs Festland zu kommen gibt es genau zwei Möglichkeiten. Entweder nimmt man die Fähre, Fahrtdauer 5 Minuten, oder man fährt mit dem Auto was die Fahrtdauer aber deutlich erhöht (nämlich auf eine Stunde). Wir sind mit der Fähre gefahren.
Natürlich konnten wir für die kurze Überfahrt im Auto sitzen bleiben. Das Gefühl, in Vridolin im Schiffbauch zu sitzen ist gleichzeitig sowohl behaglich und löst Geborgenheit aus, als auch befremdlich. Man sieht nur anhand der Veränderung des Himmels das man sich gerade tatsächlich fortbewegt. Man weiß nicht, wann man ankommt denn die genaue Fahrtzeit kennt man nicht. Als sich dann der Bauch des industriellen Walfischs öffnet und die Fahrzeuge eines nach dem anderen ausspuckt ist man froh, wieder an Land zu sein.
Die Insel die vor uns liegt ist wunderschön und der Blick aufs Wasser immer wieder aufs Neue berauschend denn es hat tausend Gesichter.
Mittlerweile gibt es wieder überwiegend Wald um uns herum und wir fühlen uns teilweise fast wie im Schwarzwald. Wäre da nicht der Fjord, der einen immer wieder daran erinnern will, in welchem Land man eigentlich ist. Als ob es jemals möglich wäre, dass zu vergessen.
Selbst der Wald hier spricht norwegisch und seine Bewohner sind eindeutig im Schwarzwald nicht zu finden. Das Haus von Lea könnte aus einem Buch entsprungen sein. Ein kleines Holzhäuschen am Waldrand, am Rande einer Lichtung. Elche und Rentiere finden wohl sehr oft den Weg zur Veranda und sind ständige Bewohner der Waldlichtung.
Leider hat die Jagdsaison am 25. September begonnen und das Wild bleibt für uns unsichtbar, sucht Schutz im Dickicht der Wälder.
Dafür dürfen wir zwei ganz tolle und weiche Katzen kuscheln. Katzen sind ständige Begleiter unserer Reise denn fast jeder, den wir die letzten Wochen besucht haben, hat Katzen.
Lea ist seit mehreren Jahren in Norwegen und Steinkjer eine sehr schöne Stadt (die außerdem eine CrossFit Box hat).
Gemeinsam mit Lea fahren wir am Montag nach Trondheim. Trondheim erinnert von der Atmosphäre her sehr an Tübingen. Eine typische Studentenstadt eben.
Am meisten beeindruckt hat mich der Dom. Es ist für den Verstand kaum greifbar dass diese Pracht durch bloße Menschenhände über Jahrzehnte entstanden sein soll, zu Ehren Gottes. Seine Anwesenheit ist in den Gemäuern der Zeit beinahe greifbar. Wie vielen Menschen dieser Ort wohl schon als Zuflucht, als heller Stern in dunkler Hoffnungslosigkeit, gedient hat?
Die Buntglasfenster sind facettenreich wie das Leben selbst und die Menschen, die hier täglich ein und aus gehen.
Lea erzählt uns, dass die Kirchen in Norwegen teilweise auch Begegnungsstätten sind und dazu dienen, ein Rückzugsort für Obdach und Heimatlose zu sein. Viele Kirchen sind hierzu teilweise umgebaut worden und im vorderen Teil gibt es einen Aufenthaltsraum und eine Suppenküche für Menschen, die auf der Straße leben.
Diesen Gedanken von Kirche als Refugium finde ich sehr schön.
Als wir Trondheim verlassen tun wir dies mit Wehmut. Wir hoffen, wir kommen irgendwann zurück.
Heute sind wir bis nach Dombås gefahren um dort einen Campingplatz zu suchen (ab und zu duschen ist doch ganz gut). Uns trennen jetzt noch 5,5 Stunden von Larvik, wo Donnerstag Abend die Fähre nach Hause auf uns wartet. Wir wollen Norwegen noch ein wenig genießen und fahren nicht länger als 3-4 Stunden am Tag damit wir Zeit zum Wandern und für Sightseeing haben. Hoffentlich bereuen wir diese Entscheidung nicht noch denn dadurch bleibt uns für die Fahrt durch Deutschland nur ein Tag.
In Dombås haben wir Abendessen gekauft und sind einem sehr großen Troll begegnet. Zum Glück war dieser friedlich gesinnt und hat uns den Tip gegeben, auf einen tollen Campingplatz in Høvringen zu fahren. Der Platz befindet sich auf einem Berg im Dovrefjell, über der Baumgrenze gelegen. So ist Marcel dann doch noch zu seiner Serpentinenfahrt gekommen. Vridolin musste sich ganz schön anstrengen. Die Landschaft hier ist beinahe unwirklich. Überall sind Flechten und trotzdem ist alles bunt. Die Leute haben Recht damit wenn sie sagen dass der Herbst Norwegens schönste Jahreszeit ist.
Wir sind auf unserer Wanderung fast alleine und mittlerweile gefühlt auch die einzigen deutschen Touristen die noch im Land sind.
Die Stille hier oben ist ohrenbetäubend laut.
Leider sind wir keinem Moschusochsen begegnet. In diesem Gebiet soll es viele von ihnen geben. Dafür hat der Nebel uns wieder eingeholt. Dieses Mal drehe ich allerdings vor der Nebelgrenze um anstatt in ihn hinein zu laufen. Marcel musste von meiner Entscheidung allerdings erst überzeugt werden, ist mir dann aber glücklicherweise murrend den Berg wieder hinunter gefolgt.
Die warme Dusche hinterher hat die Lebensgeister wieder erwachen lassen und morgen früh gönnen wir uns den Luxus eines Frühstücksbuffets im Hotel, dass an den Campingplatz angrenzt.
30. September
Das Frühstück war für 15€ pro Person nicht ganz so reichhaltig wie gedacht, hat uns aber trotzdem gut gesättigt.
Weiter ging die Fahrt. Nach zwei Stunden erreichten wir Lillehammer und der Verkehr nahm mit jedem Kilometer zu. In Lillehammer hatten wir Glück, dass wir ein regenfreies Zeitfenster erwischt haben – ja, mittlerweile regnet es wieder ständig – und trocken durch die Stadt laufen konnten.
Wir nutzten die Chance dazu, das Freilichtmuseum zu besuchen. Ähnlich wie in Oslo gibt dies einen Überblick über die verschiedenen Epochen und in einer Ausstellung im Innenbereich wird die Geschichte von Norwegen von der Eiszeit bis ins 20 Jahrhundert erzählt.
Als wir uns dem zweiten Weltkrieg nähern merken wir, wie die Norweger (die mittlerweile mitbekommen haben dass wir Deutsche sind, wir müssen endlich besser norwegisch lernen) uns ein wenig von der Seite her beäugen. Es ist ein sehr seltsames Gefühl, durch diesen Teil der Vergangenheit zu laufen. Obwohl wir nicht mehr diejenigen sind, die sich für die damaligen Taten rechtfertigen müssen löst es doch ein wenig ein schlechtes Gewissen in einem aus. Andererseits erinnert es auch daran, dass man, gerade in Zeiten wie diesen, die von Migration und Falschmeldungen durchwoben werden, aufmerksam sein muss und achtsam im Umgang miteinander. Dem Nächsten mit Liebe anstatt mit Hass und Vorurteilen zu begegnen damit sich die Geschichte nicht wiederholt.
Zum Glück ist das Museum im Innenbereich jetzt zu Ende und wir können draußen wieder frische Luft schnappen und den Staub der Vergangenheit von uns abschütteln.
Da unsere Parkuhr bald abläuft überspringen wir einige Epochen und nicken nur kurz den Schaustellern zu, die auf ihren ausgewiesenen Plätzen stehen und strickend oder Balken zählend auf Touristen warten. Wie aus der Zeit gefallen stehen sie dort im grauen Nieselregen. Nur ein Eichhörnchen, dass unter den Dachbalken wohnt, leistet ihnen Gesellschaft. Wir kommen in ein Wohngebiet in dem Häuser von 1910-2001 nachgebaut sind. Man traut sich kaum, die Vorgärten zu betreten um in die Fenster zu spähen, so realistisch sieht alles aus. Ein paar Häuser sind offen und die Einrichtungsstile der jeweiligen Zeit sind mit viel Liebe zum Detail dargestellt. Man könnte in das ein oder andere Haus direkt einziehen, wäre da nicht der stickige Geruch. Wir verlassen die Vergangenheit und wenden uns wieder der Gegenwart zu.
Wir sind dann doch noch ein Stück weiter gefahren und sind jetzt nur noch zwei Stunden von Larvik und der Fähre nach Dänemark entfernt. Leider haben wir uns mit der Zeit ein wenig verschätzt und fahren erst morgen um 17:30 Uhr. So haben wir morgen ein Zeitloch, das wir irgendwie füllen müssen. Wenns nach mir ginge wäre ich schon auf der Fähre denn so langsam geht mir die Luft aus. Nach über 30 Stunden Hörspiel und 5000 Kilometern bin ich des Reisens überdrüssig geworden und freue mich aufs zu Hause Ankommen. Vridolin erweist sich leider eindeutig als Sommerauto. Es ist zu eng in ihm, um gut zu schlafen. Es gibt weder Dusche noch Klo und man muss ständig über irgend etwas steigen, etwas zur Seite räumen, etwas Stapeln oder in viel zu volle Schränke stopfen um an das heranzukommen, was man gerade bräuchte. Und nachts wirds teilweise ganz schön kalt.
An unserem heutigem Nachtlager, einem verlassenen Platz an einem Fjordausläufer, fährt allerdings noch eine Überraschung um die Ecke. Ein norwegischer Musher mit seinen 15 sibirischen Huskys der diese vor sein Quad spannt.
Zu Beginn sind die Hunde noch ruhig und besonnen. Nach und nach holt der Musher sie aus ihren Hundekäfigen und führt sie zum Gespann. Mit jedem Hund wächst die Unruhe und die Anspannung der Hunde an und erreicht mit dem letzten Hund den Höhepunkt. Alle wollen los und freuen sich darauf, arbeiten zu dürfen. Im Gegensatz zu den Erfahrungen, die ich bisher mit den Farmhunden machen durfte, richtet sich die Anspannung nur nach vorne und nicht gegeneinander. Schön zu sehen, dass es auch anders geht.
Nach ungefähr einer Stunde sind die erschöpften Hunde wieder da. Man hört nur noch ein leises, glückliches Hecheln. Schnell sind Ausrüstung und Hunde wieder eingepackt und wir sind wieder alleine.
01. Oktober
Der letzte Tag in Norwegen.
Wir nehmen uns viel Zeit fürs Frühstück da unsere Fähre erst um 17:30 Uhr in Larvik ablegt und wir zum Fähranleger nur noch zwei Stunden brauchen. Nach dem Frühstück fahren wir los.
Zum Glück hat Vridolin seine Diesel Inkontinenz überwunden und tropft nicht mehr. Eine Sorge weniger. Norwegen verabschiedet uns so, wie es uns begrüßt hat. Mit Nebel und Nieselregen. Den nehmen wir übrigens mit nach Dänemark. Wir entschuldigen uns schon im Voraus für das schlechte Wetter in Deutschland sobald wir da sind.
Wir halten noch einmal in Larvik, um im Lebensmittelladen ein paar norwegische Spezialitäten für zu Hause mitzunehmen.
Wir machen einen letzten Zwischenstopp im Park und verabschieden uns vom Meer. Dafür suchen wir uns den höchsten Punkt im Park aus. Die Felsen, die die Küste säumen.
Dort hat jemand ein Herz in den Fels geritzt. Die Aussicht hier ist sehr schön und Norwegen würdig. Die Sonne bricht sich in einem einzigen Strahl durch die Wolken. Es sieht aus, als ob jemand von oben mit einem Laserschwert durch die Wolkendecke schneidet. Oder wie ein Scheinwerfer, der durch die Wolken strahlt. Larvik selbst ist leider nicht annähernd sehenswert und doch wird mir dieser Ort lange in Erinnerung bleiben. Dieser Tag, diese Stunde, dieses Gefühl und das Herz im kühlen Fels.
Dieser Fels wird unser Fels sein und das Herz unser Herz. Hier wird für mich imme der Ort sein, an dem Marcel mich gefragt hat, ob ich seine Frau werden will. Und an dem ich “ja” gesagt habe.
Zwei Stunden vor unserer Abreise aus Norwegen (der Zeitpunkt ist dem Wetter während unserer Reise geschuldet).
Ich konnte kaum glauben dass es jetzt doch noch passiert. Ich hatte die ganze Reise gebangt und gehofft dass er mich fragen wird und mich dann damit angefunden, fast mit Erleichterung, dass er es wohl verworfen hat. Ich war sehr sprachlos in dem Moment und wusste keine Antwort. Hätte ich freudestrahlend ja sagen sollen, wie im Film?
Da sind jedoch so viele Zweifel und ich habe Angst davor, mich zu binden. So für immer. Was wenn es nicht klappt? In meinem Glauben ist heiraten so wichtig aber eben auch ein für immer. Sind diese Gedanken und Zweifel normal? Was wäre gewesen hätte ich nein gesagt oder um Bedenkzeit gebeten? Darf man das denn oder geht das auch nur in Filmen? Der Ring der jetzt an meinem Finger steckt ist sehr schön.
Aber ist es ein Ring mich zu knechten? Oder ist es ein Bund der Ewigkeit? Ist ein Ring ein Kreis oder ein Gefängnis? Steht man in ihm und kommt nicht mehr raus oder taucht man in ihn hinein und er wird einem zum Zuhause?
Mittlerweile weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war ja zu sagen und bin sehr froh darüber. Letztendlich ist der Ring zu einem Symbol für unsere Liebe und dadurch zu einem Zuhause für mich geworden.

02. Oktober
Heute haben wir die Grenze nach Deutschland passiert. Wir haben auf einem nicht so schönen aber günstigen Campingplatz in Dänemark geschlafen.
Je näher wir Deutschland kamen desto mehr nahm der Verkehr zu. Wurde hektisch.
Simultan zum zunehmenden Verkehr sank unsere Laune. Von hinten wird gedrängelt, man sieht auf Google Maps einen Stau nach dem anderen kommen und man kann das gewünschte Hörspiel nicht downloaden da der Internetempfang sich immer wieder verabschiedet. Hallo Deutschland. Wir haben dich vermisst. Wir sind jetzt kurz vor Hannover und sind froh morgen Nachmittag wieder auf unserem Berg sein zu können.
Am meisten freue ich mich auf meine Katzen und hoffe, ihnen geht es gut. Soraya hatte stark abgenommen und ich hoffe, dass sie nicht noch magerer ist wenn ich nach Hause komme.
Am Sonntag ist der letzte Urlaubstag, dann holt uns der Alltag wieder ein. Zumindest Marcel. Ich werde noch eine Weile brauchen um das zu verarbeiten, was ich die letzten drei Monate alles erleben durfte. Es gibt zudem eine Hochzeit vorzubereiten. Außerdem müssen wir auf Flohmärkte fahren, das Haus und den Keller ausmisten, meinen Reisepass verlängern, Kleider auf Second Hand Portalen hochladen, die Buchpräsentation in Tübingen gut über die Bühne bringen auf der “Vögel im Kopf” vorgestellt wird, meine erneute Operation vom Handgelenk am 15.10 und und und.. Zeit für Langeweile habe ich also erstmal keine. Aber der Sonntag, an dem mache ich erstmal gar nichts.


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3 Kommentare
Frank Brück
Liebe Janine,
einfach wunderschön beschrieben, die Gedanken, Sorgen und Ängste aber auch den Mut etwas zu ändern. Um im Leben an ein Ziel zukommen muss man bereit sein, etwas zu verändern und für Neues offen zu sein. Tipp: viele kleine Schritte ergeben am Ende auch einen großen Weg, den man zurück gelegt hat. Manchmal muss man seinen ganzen Mut zusammen nehmen und das Alte loslassen, dass Neue kann so schön sein!
Behalte immer das Ziel vor Augen, auch wenn das heißt, Umwege in Kauf nehmen zu müssen. Am Ende zählt allein, im Ziel anzukommen.
Viel Erfolg auf deinen/euren weiteren Lebensweg!
Tomasz Jerzy Michalowski
Herzlichen Glückwunsch zu deinem beeindruckenden Blog! Die Vielfalt der Themen, die du abdeckst, zeigt nicht nur deine Breite an Interessen, sondern auch deine Fähigkeit, jedes Thema mit Leidenschaft und Fachkenntnis zu behandeln. Weiter so!
Janine Isabel
Vielen Dank lieber Tomasz!