Habt ihr euch denn schon eingelebt?
Die eine Frage, die wir mittlerweile schon so oft gehört haben. Die Frage, die jeder stellt.
Eigentlich eine sehr harmlose, bestimmt gut gemeinte und von Interesse zeugende Frage.
Doch die Antwort ist nicht einfach.
Einleben. Ein Leben. Ein (neues) Leben.
Auswandern. Aus wandern. Aus etwas heraus und in etwas hinein wandern.
Bis aus auswandern einleben wird, vergehen nicht nur ein paar Tage oder Wochen, sondern Monate, manchmal sogar Jahre.
Meine Oma hat zu mir gesagt sie stelle sich einfach vor, wir seien im Urlaub.
Zu Beginn, die ersten beiden Wochen, hat es sich auch nach Urlaub angefühlt. Urlaub mitsamt Katzen und Hausrat zwar, aber dennoch Urlaub. Ich habe versucht mir einzureden es sei ja eigentlich nur ein erneuter Umzug.
Das es viel mehr ist erkennt man erst im Verlauf der Stunden, Minuten, Sekunden und Tage im neuen Land.
Man erkennt es mit jedem Wort, dass man nicht versteht. Mit jedem Satz, den man noch nicht sagen kann. Mit jedem Gefühl, dass man versucht zu verdrängen. Mit jedem Gespräch aus der Heimat, die immer seltener werden und die man vermisst von Angesicht zu Angesicht führen zu können.
Bisher blieben die Emotionen, die ich erwartet habe zu haben aus. Kein Heulkrampf, kein Koffer packen, keine Job – oder Haussuche in Deutschland um zurück zu können.
Aber es ist da, das Heimweh. Es schleicht sich an, sitzt in meinen Poren, sucht sich Ritzen und Winkel, in denen es sich einnisten kann. Wie gerne hätte ich einfach nur einen Heulkrampf, einfach nur ein bisschen Traurigkeit ab und zu.
An manchen Tagen würde ich mich gerne im Bett verkriechen und die Bettdecke über meinen Kopf ziehen. Das ist mein zu Hause. An anderen Tagen atme ich die kühle Nordluft und bin in ihr zu Hause. Dann wiederum nimmt Marcel mich in den Arm und abermals bin ich zu Hause.
Ich bin hin und hergerissen zwischen einem Alltag, den ich noch nicht begreifen kann und dem Gefühl, im Urlaub zu sein.
Auswandern bedeutet aus sich heraus zu wandern. In die Fremde zu wandern und darauf zu vertrauen, sich dort irgendwann ein Leben aufzubauen, in dem man sich wohl fühlt. Man wandert aus sich heraus, sieht seine Gefühle von außen – aus Schutz.
Man wandert aus seiner Komfortzone heraus, begegnet sich selbst neu und muss sich überwinden. Man wandert aus seinen Gefühlen heraus und wandert wieder in sie hinein. Man wandert aus seiner Angst hinaus, aus seinen Zweifeln.
Man muss ein Stück weit neu werden, sich ein (neues) Leben aufbauen. Das Sprechen in einer anderen Sprache fühlt sich an, wie das Sein einer neuen Person. Man muss seine Identität in ihr finden und der Sprache seine Identität geben. Die Sprache der Anderen lernen zu sprechen. Man wandert auch aus seiner Sprache heraus und in meinem Fall ist Sprache alles. Sprache ist Identität, ist Verständigung, Kommunikation, ist Leben. Norwegisch zu erklären ist schwer. Ich kann aber erklären, was es für mich bedeutet, keinen Ausdruck zu haben. Man reduziert nicht nur seinen Wortschatz sondern auch sein eigenes Ich. Bestandteile dieses Ichs werden vor einem ausgebreitet und müssen neu beurteilt werden. Meine Schüchternheit wird hier zu falsch verstandenem Desinteresse und meine Zurückhaltung zu Verlorenheit. Meine ruhige Art hindert mich hier daran, Fuß zu fassen und nicht auf andere zugehen zu können wird zur Stolperfalle und ich strauchle.
Die eigenen Identität in der Ausdruckslosigkeit zu finden ist schwierig und man muss tief nach ihr graben. Sie muss neu erwachsen (werden) und man muss Stärke in Dingen suchen, die in Deutschland nicht “gebraucht” wurden. So suche ich meine Stärke vermehrt in Gott, meine Hoffnung vermehrt in Wörterbüchern und meinen Mut in den Bergen dieser neuen Erde.
Die Verben konjugieren sich nicht mehr von alleine und man muss ihnen beim Beugen helfen. Sie purzeln vornüber und landen durcheinander vor meinen Füßen. Zu tief haben sie sich vor mir verbeugt.
Die Adjektive wissen nicht mehr weiter und vermissen ab und zu ein angehängtes t. Es fällt ihnen schwer, sich an die Artikel zu klammern und zu oft lassen sie diese im Stich. Die Artikel haben ihre eigenen Probleme und oftmals wird männlich zu weiblich und weiblich neutral.
Die Satzstellung interessiert das alles nicht, sie tanzt ihren eigenen Tanz und die Aussprache stolpert ihr über die Füße. Die Ausdrucksmöglichkeiten sind begrenzt da die Worte mangeln. Viele deutsche Worte sucht man im Norwegischen vergeblich. Mein Personalpronom versteckt sich in mir und ich kann es nicht finden.
Ich will zu oft zu viel auf einmal. Will die Sprache sofort lernen, will sofort Anschluss finden, will sofort ankommen, will mich sofort einleben doch das geht nicht. Die Frage, ob ich mich schon eingelebt habe, werde ich weiterhin mit nein beantworten müssen. Vielleicht nur noch ein paar Wochen, vielleicht Monate, vielleicht Jahre lang. Man braucht Geduld und einen langen Atem um aus sich heraus und in etwas neues hinein zu wandern. Viel Kraft, viel Demut, viel Zuspruch, viel Mut, viel Hoffnung, viel Liebe, viel Durchhalten, viel Aushalten, viel Geduld.
4 Kommentare
Frank Brück
Liebe Janine,
Wunderschön und gleichzeitig traurig.
Man kann sich sehr gut in deine Situation hinein fühlen. Es klingt so viel Traurigkeit heraus aber es gibt doch bestimmt auch sehr schöne Momente in einem neuen Land. Man ist doch auch neugierig auf das Neue! Was kommt auf einen zu? Wie geht man damit um?
Wie oft war die Heimat keine Heimat? Wie oft war diese von Langeweile geprägt? Wie oft wollte man ausbrechen?
Es hat eine Zeit in meinem Leben voller Unruhe gegeben wo ich nirgendwo zuhause war und auf der Suche nach innerer Zufriedenheit und Glück war.
In dieser bzw. Nach dieser Zeit habe ich mir einen Satz aufgeschrieben:
Ich war in meinem Leben schon in vielen Ländern, an vielen Orten, aber nur in wenigen war ich glücklich.
Finde dein Glück und sei Neugierig auf das Neue und habe keine Angst davor. Sei stolz auf Dich und deinen täglichen Mut!
Janine Isabel
Vielen Dank Papa, deine Worte kamen heute zur richtigen Zeit.
Dein Satz gibt einem zu Denken.
Ich schreibe leider oftmals etwas melancholisch, durch das Schreiben verarbeite ich viel, deswegen sind meine Texte immer etwas dunkel angehaucht. Macht euch keine Sorgen, ich gebe Bescheid wenn es ganz schwer wird.
Ich werde an deine Worte denken und versuchen Zufriendenheit in kleinen Dingen zu finden.
Susanne Hauser-Braun
Liebe Janine, möchte dir einfach einen lieben schwäbischen Gruß nach Norwegen schicken. Ich wäre vor vielen Jahren fast auch mal dorthin ausgewandert. Leider war ich bei der netten Au-Pair-Familie nur die “klare Nr. 2” Stattdessen ist es dann Tansania in Ostafrika geworden – und auch dort war es so, wie du es beschreibst. Eine Sprache ist so viel mehr als Wörter, Syntax und Grammatik, sie ist ein Tor zu einer neuen Welt. Ich wünsch dir von Herzen, dass diese Tür für dich immer weiter aufgeht. Trau dich. Norweger (und ich kenne einige und kann selber auch mittelprächtig sprechen) sind normalerweise sehr angetan von jemandem, der sich anstrengt die Sprache zu lernen. Wenn du es tust, werden Türen aufgehen. Alles Gute og ha det bra. Susanne
Janine Isabel
Vielen Dank für den ermutigenden Kommentar ich werde am Norwegisch dranbleiben und hoffen, dass es sich irgendwann nicht mehr unnatürlich anfühlt es zu sprechen und sich in meinem Kopf festsetzt.
Tansania klingt auch unheimlich spannend. Afrika steht schon lange auf der Liste der Länder die ich gerne einmal sehen würde.
Viele Grüße, Janine