dazwischen

Leka

Mit der Fähre fahren wir in ein Wochenende, dass sich wie Urlaub anfühlen wird. Der Übergang von Urlaubsgefühlen hin zu Alltag vollzieht sich Norwegen fließend. Wir treffen uns mit Marie, Peter, ihren beiden Hunden Icy und Eddie und ihren beiden Kindern Ida und Alma. Man kennt sich über Tobi und Kathi. Flüchtig. Saßen bei einem Fest gemeinsam am Tisch. Die Beiden sind schon vor Jahren ausgewandert und sind nach und nach in ihrer Anzahl gewachsen. 

Wir fahren gemeinsam nach Leka, um uns dort besser kennen zu lernen. Peter hat für jede Familie eine Steinhütte mit Fjordblick auf einem Campingplatz gemietet. Die Insel Leka ist ein beliebtes Touristenziel in unserer Region denn man kann auf ihr ein sehr seltenes Naturschauspiel erleben. Steine, die die Farbe wechseln sobald die Sonne auf sie scheint. Diese einzigartige und seltene Gesteinsart findet sich sonst nur unter dem Meer. Durch eine Verschiebung der ozeanischen Kruste hat sich das Innere der Insel durch tektonische Vorgänge im Urmeer nach außen gekehrt. Man sieht auf Leka in das Innerste der Erde hinein und kann darauf spazieren gehen. Die Abendsonne, die auf die Ozeankruste fällt, malt die Gebirgskette an. Rot, orange, gelb und alle Nuancen dazwischen. Die Schöpfung ist so groß, so unfassbar schön und lässt einen so ehrfurchtsvoll zurück.
Bevor wir uns das Gestein am nächsten Tag aus der Nähe anschauen besuchen wir eine besondere Familie, die auf der Insel lebt. 
Begrüßt werden wir von drei Hunden. Auf dem Weg zum Bauernhaus fahren wir an zwei Wollschweinen vorbei. Zur Linken tummeln sich Nandus, über der Straße schlägt ein Pfau sein Rad. Willkommen in der Villa Kunterbunt. Bald soll hier ein Zoo für Touristen entstehen. Bisher spielt sich aber noch alles im heimischen Wohnzimmer ab. Dort leben Bartagamen und Wellensittiche. Die Speisekammer teilt sich ein misogyner Ara mit einer Königspython, einer Kornnatter und einer hochgiftigen Tarantel. Diese lebt unter der Erde, in einem Käfig aus Plastik. Das Plastikterrarium erinnert mich an meine Kindheit. Genau diese Terrarien haben wir damals verwendet, um Schmetterlinge und Eidechsen einzusperren. Diese konnten uns glücklicherweise nicht töten. Die Tarantel kann.
Den Ara kann sie uns leider nicht in Freiheit zeigen denn ihr Mann ist nicht da und sie kann den Ara nicht anfassen da er Frauen angreift. Ihr Mann arbeitet auf einer Bohrinsel und sucht dort in der Tiefe nach schwarzem Gold. 9 Tage zu Hause, 11 Tage offshore. Offshore bedeutet für den Ara Einzelhaft. Er nutzt die Tage in Freiheit um über dem Haus seine Kreise zu ziehen. Zurück käme er wohl von alleine und seine Flugroute folge einem festen Muster. Draußen gibt es außerdem eine Scheune, in der verschiedene Hühnerarten, zwei Truthähne, Hasen, Meerschweinchen und ein zahmes Schaf leben. Das Schaf besucht uns im Wohnzimmer und pinkelt in den Flur als wir gerade dabei sind, die Wellensittiche fliegen zu lassen. Es hört aufs Wort und die Familie nimmt es ab und zu sogar mit auf Tour.
Wir lassen die Bewohner der Villa Kunterbunt in ihren Käfigen zurück und verlassen nach zwei Stunden den Hof. 

Je weiter wir uns dem nördlichen Teil der Insel nähern, desto amerikanischer fühlen wir uns. Wie kleine Canyons ragt das rötliche Gestein vor uns auf, neben uns das Meer, hinter uns der Rest von Norwegen. Wir halten an einem Parkplatz und brechen spontan zu einer kleinen Wanderung auf. In Norwegen gibt es viele Wanderwege die fast alle in einer App zu finden sind. Diese App heißt UT.no und sie zeigt die Länge, die Höhenmeter und den Schwierigkeitsgrad einer Wanderung an. Wir beginnen auf blau, der mittleren Schwierigkeitsstufe, und müssen uns an einer Abzweigung entscheiden. Wählen wir die rote Route, die sich die Felswand nach oben schlängelt, oder gehen wir geradeaus weiter, durch das Tal hindurch? Wir entscheiden uns einstimmig für rot und beginnen zu klettern. Weit ist es nicht und die Aussicht entlohnt uns für die Mühen. Blicken wir geradeaus, so blicken wir dem Ozean entgegen. Links von uns ragen die Felsen gen Himmel und über uns scheint die Sonne. Wir sitzen auf roten Bergen im Meer und genießen. Der Alltag ist vergessen, jeder Atemzug befreit uns von ihm. Unsere Seele fliegt zu den Adlern hinauf und dreht dort eine Runde. 

Leka wird nicht nur von seinem Gestein sondern auch von Seeadlern geprägt. Es gibt auf der Insel einige noch brütende Exemplare. Im Jahr 1932 traf die 3 – jährige Svanhild auf einen von ihnen und wurde von ihm geraubt. Nach 7 – stündiger Suche fand man das Kleinkind. Auf einem Felsvorsprung 1700 m entfernt von ihrem Heimatort Kvaløya. Auf dem Rückweg zum Auto schwebt ein stiller Schatten über uns und wir dürfen die Anmut der Seeadler betrachten. Er gleitet in stiller, majestätischer Grazie über uns hinweg. Er beherrscht die Winde und ist der König, der über den Wolken schwebt und mit kühlem, fast schon überheblichem Blick auf uns herabschaut. 

Mit selbstgemachten Burgern im Bauch und den vielfältigen Eindrücken des Tages legen wir uns abends ins Bett. Am nächsten Tag fahren wir noch kurz am Strand von Leka vorbei, der trotz des trüben Wetters zum Verweilen einlädt. Selbst bei schlechtem Wetter, Nieselregen, Wolken, Graupel, sind die Strände und das Meer faszinierend schön. Wenn die einzelnen Wolken das Licht kurz durchscheinen lassen und es sich auf dem unruhigen Meer spiegelt oder wenn Lichtflecken einzelne Sandkörner zum Tanzen bringen und die Ebbe Muster in den Strand zeichnet. Die Dünen die Wellen nachahmen und das Gras sachte über sie hinwegstreicht.
Um kurz vor zwei kommen wir auf die Idee, nachzuschauen um welche Uhrzeiten die Fähren an Sonntagen fahren. Uns bleiben noch 40 Minuten, dann sollten wir am Fähranleger sein wenn wir nicht weitere drei Stunden warten wollen. So schön sich der Strand uns auch präsentiert, drei Stunden klingen uns dann doch etwas zu kalt. Wir bekommen die Fähre und glücklich und mit zwei neuen Freunden im Gepäck kommen wir Sonntagabend zu Hause an und müssen uns gedanklich wieder auf den Alltag einstellen.

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