Rückkehr
Rückkehr. Ein Wort, an das wir nie zu denken wagten. Jetzt steht es stumm vor uns im Raum, wird mehr und mehr zu einer Möglichkeit, drängt sich uns auf. Rückkehr, verbunden mit Scheitern? Austräumen? Aufwachen? Was heißt es, zurückzukehren? Zu was kehrt man zurück, was wird man dort noch finden, nachdem man die Brücken hinter sich verbrannt hat? Wird die Welt aus Asche sein?
Ist der Weg zurück eine Sackgasse oder führt er uns weiter nach vorn? Ich fühle mich, als würde ich in meinem Leben feststecken. Hätte die Orientierung verloren, nachdem ich mir so sicher war, gefunden zu haben, was ich suchte. Doch was genau suchten wir von diesem Leben?
Kann uns ein Land zufriedener machen? Welche Identität will ich behalten? Was will ich zurücklassen – schon wieder?
Ich versuche, herauszufinden, wann die ersten Gedanken an Rückkehr in mir anfingen zu keimen. War es im September, als wir uns eingestehen mussten, dass zu viel Freiheit uns nicht guttut? Oder war es schon früher, im Juli, als ich von Heulkrämpfen geschüttelt mit Heimweh im Bett lag in einer Nacht, in der die Sonne nicht unterging?
September 2022. Wir beide auf einer kleinen Lichtung sitzend, den Sonnenuntergang betrachtend. Am Fjord von Måneset. Da sitzen wir, auf unbequemen Luftmatratzen. Das Gefühl, das wir auf unserer ersten Zelttour letztes Jahr hatten, will sich nicht wieder einstellen. Das Gefühl von Freiheit, von Zufriedenheit, mit der Natur in Einklang zu sein. Wir fühlen nur die Steine unter unseren Luftmatratzen. Wachen auf mit Rückenschmerzen und einem faden Geschmack im Mund. Beschließen, das Frühstücken auf später zu verlegen, brechen auf und fragen uns, ob wir tatsächlich so naturverbunden sind, wie wir meinen zu sein oder ob wir uns nur selbst ein Bild von uns gezeichnet haben, ein Bild von Menschen, die wir gerne hätten sein wollen und die wir nicht sind.
Doch dann kamen Oktober und November. Der hohe Norden hat den Gedanken an Rückkehr wieder weggeschoben und die Hoffnung sprießen lassen doch endlich und tatsächlich in Norwegen ankommen zu können.
November 2022. Ich will hier nie wieder weg. Ein Haus in Nyksund kaufen, das wäre doch schön. Dort oben, dort oben auf dem Fels. Der Wind flüstert uns ein Schlaflied, die Nordlichter tanzen in der Dunkelheit am Himmelszelt, das sich über uns spannt. Die Sterne, der Mond, die lange Nacht des Tages. Dazwischen nur wenige Lichtstunden denn es ist Dunkelzeit. Die Sonne, sie steht nicht mehr auf. Wir können ihr beim Untergehen zuschauen im selben Augenblick, in dem sie aufgeht.
Im Dezember wurde mir Entfernung bewusst. Die wahre Bedeutung von 3600km blieb mir im Halse stecken.
Dezember 2022. Die Lichter der Weihnachtsstadt. Weihnachten allein. Das Kind wird ohne uns geboren. Silvester. Zehn Raketen, die den Hund erschrecken, er denkt, er müsse sterben. Ich selbst, eingeschlossen in einem kleinen Appartement aus Holz. Die Holzwürmer, sie trinken meine Einsamkeit. Ich halte Winterschlaf und Ausschau nach einem neuen Leben. Schaue viel fern, schau mir den Schmerz von der Seele und versuche, nicht nah zu schauen. Nicht zu nah hin, um Distanz zu mir bemüht.
Der Januar, er läutet ein neues Jahr ein. Ein Jahr der Rückkehr?
Januar 2023. Das Sonnenlicht hat sich seinen Weg zurück gekämpft. Bald ist es so weit und wir begrüßen sie wieder, die Sonne, ihr Licht. Sie kommt in Begleitung. Winde haben sie nach oben geschoben, über den Horizont. Schnee folgt ihnen nach. Wolken, die die Sonne wieder vor uns verbergen. Meine Haut fühlt sich salzig an. Eine leichte Kruste legt sich über das Gesicht, mit jeder Gischt. Die Tage werden länger, die Nacht zieht sich zurück. Lange Tage ohne Inhalt. Leer. Gefüllt mit nichts.
Jetzt ist er da. Der Sommer. Tage voller Licht. Doch Licht zieht sie an, die Mücken die Touristen sind. Tausendfach fallen sie ein. Hinein in unsere kleine Insel, hinein in unsere Einsamkeit. Und auf einmal wird alles zu viel. Zu viele Menschen, zu viel Licht, zu viel Heimweh, zu viel Sehnsucht nach Ankommen, nach Platz den die Touristen uns nehmen. Sie drohen, uns zu ersticken. Überall ist plötzlich Leben doch im Winter haben wir verlernt, mit diesem Leben umzugehen. Und zum ersten Mal bekomme ich ein wenig Angst vor Deutschland denn dort ist das Leben überall. Dort gibt es keinen Schnee mehr, unter dem man sich verstecken kann. Dort wird verlangt, mit zu leben. Zu fremden Bedingungen.
Sind wir an Norwegen gescheitert? Hat sich unser Traum verflüchtigt? Ich schaue aus dem Fenster. Meer, brütende Möwen. Schnee. Die Robbe, die fast jeden Tag ihren Kopf aus dem Wasser an der Mole streckt, uns zuzwinkert. Der Seeadler, der sich neben meinem Auto in die Höhe schraubt, majestätisch neben mir fliegt, nur ganz kurz, dann trennen sich unsere Wege.
Was würde ich sehen, wenn ich in Deutschland aus dem Fenster blicke?
Was sehe ich in mir, wenn ich die Augen schließe und an Heimat denke?
Ich bin viel mit mir allein. Bin krankgeschrieben. Mein Handgelenk lenkt nicht mehr. Doch ganz tief in mir weiß ich, dass ich einfach zu traurig fürs Arbeiten bin. Hier keine Perspektiven habe. Zurück ins Pflegeheim? Irgendwann letztes Jahr kam man auf mich zu. Ich könne im Altenheim in Myre arbeiten, jederzeit, zu meinen Bedienungen. 10.000€ nach einem halben Jahr Probezeit. So etwas hört man in Deutschland wahrscheinlich nicht so oft. Doch schon die Eingangshalle wies mich zurück. Ein leerer, großer, dunkler Raum. Der Geruch, der Geruch von Trostlosigkeit vermischt mit Urin. Er ist überall. In jedem Blick.
Ich brauche Leben und finde keins.
Hab tausend Listen geschrieben, doch was will mein Herz? Meine Zunge, sie stolpert wieder. Über Vokabeln, über Grammatik, über norsk. Ich kann nicht sagen, was ich sagen will. In Deutschland, kann ich es da? Ist es nicht vielmehr mein Kopf, der sich nicht zu sagen wagt was gesagt gehört?
































4 Kommentare
Karin Brück
Hallo meine liebe Tochter..sehr berührend wieder und schön,die Beweggründe mal nachzulesen .Es war auf jeden Fall sehr mutig und von euch einzigartig,dies durchzuziehen und zu organisieren.Das kann euch keiner nehmen.Auch die Erinnerungen ,Fotos, Freunde dort.
Natürlich keine Frage dass wir uns sehr sehr freuen werden, wenn ihr zurückkommt , und keine Sorge, dieses Band wird niemals abgeschnitten oder verbrannt sein…ganz sicher auch bei allen anderen sehr guten Freunden nicht nach so doch recht kurzer Zeit.Alle guten Freunde werden sich auch freuen und nicht blöd kommentieren.Und die anderen…du weißt ja…Ganz liebe Grüße und hoffentlich bald auch aus der Nähe….mein Herz würde ganz doll hüpfen euch wieder näher da zu haben.LG
Frank Brück
Viele Menschen träumen Ihren Traum von Freiheit und trauen sich nicht, den ersten Schritt zu tun. Reden nur davon und das Leben geht vorbei. Wie viele vergebene Chancen haben sich nie ergeben? Wenn man etwas verändern will, muss man den ersten Schritt gehen, wohl wissend, dass es Überraschungen geben wird, manches nicht so läuft, wie man es gerne möchte. Aber man hat den Schritt gewagt. Man kann zu sich sagen, ich habe es getan und nicht im Alter zurück blicken und zu denken, warum hatte ich nie den Mut, dazu meinem Leben etwas Neues zu geben.
Bei Allem sollte man betrachten, dass eine getroffene Entscheidung sich nach eine gewissen Zeit als die nicht richtige Entscheidung heraus stellen kann oder ganz einfach die Ausgangssituation geändert hat. Auch hier braucht man den Mut, eine neue Entscheidung zu treffen.
Stillstand ist Rückstand und das hilft niemanden, auch sich selbst nicht.
Die Welt ist so groß, man sollte einfach mal sich diese anschauen. Wenn man aus seinem Selbstmitleid heraus ist, sieht die Welt so schön aus und es gibt Millionen von Chancen für einen Neustart.
Vertraue auch auf deinen Glauben und Jesus. Er hat einen Weg für euch bereit. Haltet die Augen auf und ergreift eure Chance.
Steffi
Hallo,
Ich bin heute erst auf deinen Blog gestoßen.
Du kannst wunderbar schreiben, ich kann mich da super mit rein fühlen und wenn man dann sieht das selbst deine Eltern deine Schritte so mitverfolgen und dich in jeder Situation so super unterstützen und immer super tolle Worte parat haben, finde ich echt schön.
Wir selbst sind dieses Jahr nach Norwegen gegangen und lernen alles neu.
Wie geht es euch nach euer Rückkehr nach Deutschland?
Gerne kannst du mir auch auf meine Mail schreiben, wenn es für dich in Ordnung ist. Ich würde mich sehr freuen von dir zu lesen.
Liebe Grüße
Steffi
Janine Isabel
Hallo Steffi, vielen lieben Dank für deine Worte. Ich war eine Weile nicht mehr online, deswegen lese ich deinen Kommentar erst jetzt. Sehr gerne schreibe ich dir eine E Mail 🙂
Viel Erfolg euch!
Liebe Grüße
Janine