Schnee
Schnee ist Stille, die die Düsternis leise zudeckt. Schnee legt sich über die Welt, hüllt die Welt in seine Ruhe ein. Überall ist weiß. Weiß, das vom Himmel fällt. Schnee ist Besinnung und Schnee ist Kraft. Schnee macht alles einander gleich, ohne zu werten. Er legt sich über alles in gleichem Maße. Die Schneeflocken lassen sich beim Flug auf die Erde viel Zeit. Sie suchen sich ihren Platz genau aus. Der Wind begleitet sie zum Tisch und schiebt den Stuhl für sie zurück. Ganz der Gentleman, der er ist. Der Baum vor dem Fenster ist zur Hälfte eingeschneit. Er teilt sich seine Rinde mit dem Schnee. Alles ist kalt, alles ist still und die Welt hat den Pauseknopf gedrückt. Schnee ist die Deckfarbe der Natur.
Der Himmel mischt aus Wasser und Kälte Puderzucker, Klebstoff, Baumaterial. Ganze Häuser kann man daraus bauen. Vergänglich, wie die Blumen im Frühling, die Sandburgen am Strand.
Die Spuren, die man im Schnee hinterlässt, weisen einem die Orientierung, wenn sich diese in der weißen Welt verliert. Wie Brotkrumen führen sie einen zurück zum Ausgangspunkt. Wie die Vögel die Brotkrumen stehlen, so stehlen die Schneeflocken sich die Verwirrung zurück, verwischen die Spuren erneut.
Schnee ist Einsamkeit. Wie zwei einsame Herzen tanzen Schneeflocken umeinander. Staunend, sich in die Augen blickend, umeinander kreisend, fallen sie aneinander vorbei um sich einen Atemzug später nebeneinander niederzulegen. So bilden sie einen Teppich aus Frost. Aus Liebe, aus Einsamkeit und Stille, der die Welt einen Atemzug lang zu einem besseren Ort macht.
Bis zum nächsten Regen, bis zum nächsten Sonnenstrahl, ist die Welt pure Perfektion. Die Gedanken kommen zur Ruhe. Wenn man sich in den Schnee legt, sich ihm bis über die Ohren hingibt, dann hört man das Herz der Erde schlagen und alles in einem wird still. Klammheimlich stiehlt sich die Lautlosigkeit in dein viel zu lautes Herz und es hört auf zu zweifeln.
Schnee räumt die Emotionen auf, die so lange schon auf eine Richtung warten. Eine Richtung, in die sie gehen dürfen.
Schnee macht glücklich. Zumindest bis zum nächsten Straßengraben.
Schnee ist Andacht, ist eine von oben verordnete Ruhepause. Wer Häuser hat, gehe hinein und sitze am Kamin. Wer Kinder hat gehe hinaus und baue einen Schneemann.
Wenn Plätzchenduft auf Schneeflocken trifft dann ist das Weihnachts – all – inclusive – Paket perfekt. Unterm Tannenbaum gemeinsam mit seinen Liebsten aufs Christkind wartend ist Schnee das schönste Geschenk von allen.
Die Berggipfel verstecken sich unter der weißen Last und die Bäume beugen sich dem Willen der Wolken, die über ihnen wachen. Weiß sollen die Berge werden, weiß und groß und stark in den Himmel aufragen. Unbeweglich unter der weißen Decke gefangen.
Die Straße wird, wie aus Trotz, unter einer Schicht aus Eis und Schnee begraben. Die Erde wehrt sich gegen die Bevölkerung und mahnt dazu, das Auto einfach stehen zu lassen. Wenn wir dies doch nicht tun, weil wir zur Arbeit müssen, einkaufen, Freunde besuchen, dann zeichnen wir Schneeverwehungen mit unseren Reifen, die aussehen wie Nebel, der die Fahrbahn umspielt. Wenn der Schnee, vom Wind getrieben, aufs Autodach fällt dann sitzt man besser nicht darin damit man nicht im Weiß erblindet. Wenn alles weiß ist dann ist der Kontrast zur Dunkelheit unendlich. Dann ist der Sonnenuntergang aus Aquarell und die blaue Stunde in der Bewegung verharrt. Dann bleibt die Katze im Warmen und die Ängste fliegen über den Horizont hinweg. Treffen auf die Wolken, werden zu Schnee und fallen ins Meer. Vermischen sich mit dem Meer der Sehnsucht, dem Meer des Heimwehs, dem Meer der unendlichen Freiheit und Weite, die man in diesem Land nach jeder Kurve neu entdeckt.
- Janine Isabel
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- November 2021


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