dazwischen

Arbeit

Die erste Arbeitswoche

Der erste Arbeitstag war schrecklich. Auf dem Heimweg weinte ich.

Wie sollte ich das nur schaffen? 

Ich bin extra früh aufgestanden um nicht als Letzte in die Frühbesprechung zu platzen. 

Nervös zog ich meine Arbeitskleidung an. Alle in der Umkleidekabine beäugten mich skeptisch. Die Umkleidekabine liegt im Keller der dunkel, trist, lang und verwinkelt ist. So wie mein erster Arbeitstag gedachte zu werden. Ich irrte mich bis auf meine Station vor.  Meine Station:  Die Akut/Reha Station. Hier liegen Patienten, die viel Physiotherapie zur Rehabilitation  benötigen, in Kurzzeitpflege sind oder bei denen der Pflegeaufwand besonders groß ist.  Ein großer Pflegeaufwand entsteht beispielsweise durch Beatmung, groß – oder kleinflächige Wunden, parenterale Ernährung oder durch Krebserkrankungen. Kurz gesagt findet man hier die Fälle, die nicht akut genug für ein Krankenhaus aber zu akut für ein Altenheim sind.  Als ich die, coronabedingt in der Patientenküche stattfindende Frühbesprechung betrat, kam ich mir sehr verloren vor. Auch bin ich über die Anzahl der dort sitzenden Pflegekräfte erschrocken. Ich rechnete mit drei oder vier Angestellten, wir hatten ja schließlich nur 16 Patienten auf der Station,  und blickte in 7 oder 8 mir fremde Gesichter. Man hat aufgrund meines Eintretens die Gespräche nicht unterbrochen und nur mal eben kurz zu mir rüber geschielt, weswegen ich nicht den Mut dazu fand, mich vorzustellen. Ich habe mich hingesetzt, mich verzweifelt an meine Wasserflasche geklammert und darauf gewartet, dass mich jemand anspricht. Doch nichts ist passiert. Die Besprechung begann und ich verstand kein einziges Wort. Zwischendurch hat mich eine meiner neuen Kolleginnen gefragt, ob ich denn etwas verstünde. Auf meine Verneinung hin meinte sie trocken, das sähe man. Es war kein fürsorgliches, interessiertes Nachfragen sondern zielte eher darauf ab, mich bloßzustellen. Zumindest war das mein Gefühl.

Was für ein schönes Willkommen. 

 

Ausgerechnet mit eben erwähnter Kollegin, einer Pflegeassistentin, sollte ich den  heutigen Tag verbringen müssen. Sie spricht in einem sehr ausgeprägten Dialekt und ich verstand nicht viel, habe aber aus Einschüchterung nur okay und ja vor mich hin gestammelt. Meine Devise lautete, den Tag irgendwie zu überstehen. Endlich war der lange Dienst zu Ende und fand seinen krönenden Abschluss darin, dass sich keiner von mir verabschiedete, ich am Ende alleine in der Umkleidekabine zurück blieb und mit den Tränen kämpfte. Ich war froh, mich zu Hause in die Arme von Marcel werfen zu können. Anschließend habe ich mich im Bett verkrochen. Vor dem Schlafen gehen habe ich darum gebetet, morgen einen besseren Tag erleben zu dürfen. Am nächsten Tag stand ich neuen Gesichtern gegenüber. Nur wenige kannte ich vom Vortag. Viele dieser Gesichter begrüßten mich dieses Mal und auch ich fand endlich den Mut dazu, mich vorzustellen. Einen Ansprechpartner hatte ich immer noch nicht doch dieses Mal durfte ich die Frühschicht aus Sicht einer Pflegekraft begleiten. Diese Pflegekraft hätte mich eigentlich einarbeiten sollen, ich habe allerdings nur diesen einen Tag gemeinsam mit ihr verbracht obwohl wir oft dieselben Schichten hatten. 

 

Die Pflegekräfte hier übernehmen die Grundpflege der schwierigeren Patienten, geben die Medikamente aus, nehmen Blut ab, hängen Infusionen an, wechseln Wundverbände und entscheiden selbstständig über die Gabe der vom Arzt angesetzten Bedarfsmedikation. Dies schließt auch Morphin und andere starke Betäubungsmittel ein. In Deutschland strikte Arztsache. 

All das begleitete ich von außen auf mich herab schauend. Verstanden habe ich nichts. Wenn man in einer anderen Sprache arbeitet fühlt man sich wieder in das erste Ausbildungsjahr zurück versetzt und so oft ich auch in meinem Kopf nach Wissen suchte, auf dass ich zurückgreifen wollte so fand ich dort keines. Hinzu kommt die Tatsache, dass ich seit meiner Ausbildung vor 5 Jahren niemanden mehr bei der Grundpflege unterstützt habe, da ich immer nur in funktionellen Abteilungen unterwegs war. Dies konnte ich allerdings niemandem begreiflich machen. Dazu fehlten mir einfach die Worte und der Mut dazu, die wenigen die ich abrufen konnte falsch aneinander zu reihen. Die Pflegeausbildung in Deutschland genießt hier einen sehr guten Ruf und ich kam mir vor wie eine Stümperin. Ständig fragte ich mich, und frage mich noch heute, was meine Chefin meinem zukünftigen Arbeitgeber wohl über mich erzählen wird (hier läuft alles über gute Reputationen) und ob ich jemals wieder einen Job in der Pflege finden würde. Genauer betrachtet will ich das eigentlich gar nicht, werde aber wohl darauf zurückgreifen müssen. Aus Mangel an Alternativen. 

Meine 4 im Ausbildungszeugnis im praktischen Teil sieht wohl jeder meiner neuen Kollegen bestätigt. Am Mittwoch, meinem dritten Arbeitstag, kam meine vorübergehende Chefin  auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich am Wochenende arbeiten und außerdem Medikamente austeilen könne. 

Ich meinte, ich würde es mir überlegen. 

Am nächsten Tag hat sie mich wieder in ihr Büro gebeten und mir verkündet, dass ich am Wochenende arbeiten müsse, dafür aber am Freitag frei hätte.  

Dabei hätte ich das Wochenende so dringend zum Luft holen gebraucht. 

Wieder war ich verzweifelt und schlecht gelaunt. Immer noch hat sich niemand wirklich um mich bemüht, hat mir alles gezeigt, hat mich mitgenommen. Inzwischen wurde ich sogar ins kalte Wasser geworfen und musste zwei oder drei Patienten alleine übernehmen. Bedeutet: sie waschen, den Vormittag über versorgen und anschließend der für die Übergabe zuständigen Kollegin Bericht erstatten. Ich habe mir dann unter den anderen ausländischen Kolleginnen Verbündete gesucht. Diese arbeiteten viel, waren also oft da und konnten ein bisschen nachvollziehen, wie es mir geht. Viele dieser Kolleginnen kommen aus Thailand oder Afrika und verstehen selbst nach einigen Jahren in Norwegen noch nicht jedes Wort. Wir als Deutsche sind hier klar im Vorteil da deutsch der norwegischen Sprache ähnlicher ist. Oftmals sind die Thailänderinnen mit einem Norweger verheiratet. 

Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Kaum etwas von dem, was um dich herum gesprochen wird, zu verstehen oder selbst nicht verstanden zu werden. 

Ich begann damit mein Schicksal anzunehmen und betrachtete es als Chance zu wachsen. Nichts desto Trotz war meine Grundstimmung traurig und ich zog mich häufig auf die Toilette zurück um mich dort kurz zu sortieren. An der Klotüre hängt der positive Janteloven, der mich wieder ein wenig aufbaut.

Du må tro at du er noe
Du sollst daran glauben, dass du jemand bist.

Du må tro at du er i stand til noe.
Du sollst daran glauben, dass du zu etwas fähig bist.

Du må tro at kameratene dine liker deg.
Du sollst daran glauben, dass deine Freunde dich mögen

Du må tro på kameratene dine.
Du musst auf deine Freunde vertrauen.

Du må tro at det du kan gjøre betyr noe for andre.
Du sollst daran glauben, dass deine Taten eine Bedeutung für Andere haben.

Du bør le og ha det gøy med vennene dine.
Du sollst gemeinsam mit deinen Freunden lachen und Spaß haben.

Du må tro at alle mennesker er nødvendige.
Du sollst daran glauben, dass alle Menschen relevant sind.

Du må tro at det er plass til alle – selv om de ikke er de samme.
Du sollst daran glauben, dass für alle Platz ist – auch wenn nicht alle gleich sind.

Du må tro at kameratene dine trenger deg.
Du sollst daran glauben, dass deine Freunde dich brauchen

Du må tro på deg selv – og bruke den til noe.
Du sollst an dich glauben – mach etwas Gutes daraus.

geschrieben von Lise Ross (Filmregisseur) 

Ich nutzte meine wenigen freien Tage damit, in die Natur zu gehen und meinen Akku wieder aufzuladen oder mich so gut es geht abzulenken. 
Mein Dienstplan sah die ersten Wochen wie folgt aus:

Nach zwei Wochen Arbeit hielt ich auf verschieden Portalen schon Ausschau nach einem anderen Job. Egal was, Hauptsache weg. Mir fehlte mein alter Job in Deutschland sehr. Dann, endlich, kam am Donnerstag meine eigentliche Chefin aus dem Urlaub zurück. 

Sie saß morgens einfach mit in der Übergabe. Ich wusste nur wer sie war weil Katharina mir ein Bild von ihr gezeigt hatte. Auch sie hat sich mir nicht vorgestellt. Auch dann nicht, als ich auf einmal alleine mit ihr im Dienstzimmer stand. Als ich ihr später auf dem Gang erneut begegnete, habe ich sie einfach gefragt, ob sie meine Chefin sei. Nachdem sie meine Frage bejahte, bat sie mich in einer halben Stunde in ihr Büro. 

Während dieser halben Stunde spielten meine Gedanken verrückt und der kleine fiese Mann in meinem Kopf schrie mir entgegen, dass ich nun wahrscheinlich gekündigt werden würde.. Mit zitternden Beinen betrat ich um halb eins das Büro und wurde gebeten, mich zu setzen. Sie fragte mich, wie es mir denn ginge. Ich antwortete wahrheitsgemäß dass ich mich nicht so gut fühle.  Sie  entgegnete mir, dass meine Kollegen ihr berichtet hätten ich verstünde wenig  und wirke  überfordert. Deshalb hätte sie beschlossen, mich auf eine andere, ruhigere Station zu verlegen. Ich solle mich auf das Lernen der Sprache konzentrieren und außerdem eine Pflegehelferin als meine Anleiterin bekommen. Wenn ich wöllte, könnte ich dort gleich morgen im Frühdienst anfangen. 

Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Erleichtert verließ ich an diesem Tag das Sykehjem. Ich habe sogar die Handynummer von F. bekommen die es schade fand, dass ich die Station wechseln würde. F. ist Aushilfe und geht noch zur Schule. Sie ist vor vier Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter von Eritrea nach Norwegen geflohen, ihr Vater ist verstorben. Sie hat die ersten beiden Jahre in einem norwegischen Flüchtlingslager gelebt und durfte nicht arbeiten oder zur Schule gehen. Seit zwei Jahren wohnt sie nun in Kolvereid.

Am nächsten Morgen lief ich frohen Mutes im Treppenhaus an der Akutstation vorbei. Meine neue Station befindet sich ein Stockwerk darüber, im zweiten Stock. In Norwegen wird der Keller, wenn es einen gibt, als Erdgeschoss gezählt. Dieses Mal stellte ich mich allen vor und dieses Mal hat auch jeder sein Gespräch unterbrochen und mir freundlich zugelächelt. Und wieder schmolz ein Stück vom Gletscher der Angst und der schlimmen Befürchtungen in meinem Herzen. Der Frühdienst war sehr ruhig. Man hatte viel Zeit für die Bewohner und Arna, meine Anleiterin, hat mir Vieles erklärt und sich sehr darum bemüht langsam und deutlich mit mir zu sprechen. Jeden ihrer Schritte hat sie mir erläutert. Ich wurde aber auch hier nach der Grundpflege allein gelassen da ich nicht beim Medikamente richten dabei sein sollte. Ich sollte mich aufs Sprechen konzentrieren und wurde deswegen von allen eventuell pflegerischen Tätigkeiten im Zusammenhang mit Medikamenten ausgeschlossen. Komplettes Kontrastprogramm zu den letzten beiden Wochen. Ich hatte auch weniger Hemmungen bei meinen Kollegen um Hilfe zu bitten oder nachzufragen wenn ich etwas nicht verstand.

Nach einem sehr ruhigen und entspannten Dienst habe ich mich umgezogen und verließ gemeinsam mit Arna das Altenheim. Auf dem Parkplatz hat sie mir allerdings kurz zu verstehen gegeben, dass sich ihre Freundlichkeit wohl auf das Berufliche beschränken wird. Sie hat auf ihr Handy geschaut und ist wortlos in ihrem Auto verschwunden. 

Trotzdem bin ich erleichtert nach Hause gefahren. Jetzt habe ich den Freitag und das komplette Wochenende frei und bin sehr froh darüber, endlich Luft holen und die letzten beiden Wochen Revue passieren lassen zu können.

2 Kommentare

  • Viktoria Ambro

    Hallo,

    Das sind ja heftige erste Wochen gewesen. Ich bin zur Zeit noch in Deutschland, möchte aber Mitte Juni zu meiner Familie nach Norwegen ziehen. Werde wohl erstmal die Sprache lernen müssen, bevor ich irgendwo einen Job bekomme, hb nämlich eine Büroausbildung.

    Hoffentlich geht es dir mittlerweile besser !

    LG,
    Viktoria Ambro

    • Janine Isabel

      Oh wie spannend! In welchen Teil von Norwegen wird die Reise denn gehen? Ja die Sprache ist tatsächlich sehr wichtig, die kommt aber erst mit dem Wohnen im Land so richtig. Wegen der vielen Dialekte bringt dich Bokmål am Anfang nicht so weit. Aber das schaffst du!

      Ja, mittlerweile geht es mir besser und ich habe auch meinen Arbeitsplatz gewechselt, ich hoffe ich komme bald dazu die neusten spannenden Updates zu teilen.

      Liebe Grüße
      Janine Isabel

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2 Kommentare

  • Viktoria Ambro

    Hallo,

    Das sind ja heftige erste Wochen gewesen. Ich bin zur Zeit noch in Deutschland, möchte aber Mitte Juni zu meiner Familie nach Norwegen ziehen. Werde wohl erstmal die Sprache lernen müssen, bevor ich irgendwo einen Job bekomme, hb nämlich eine Büroausbildung.

    Hoffentlich geht es dir mittlerweile besser !

    LG,
    Viktoria Ambro

    • Janine Isabel

      Oh wie spannend! In welchen Teil von Norwegen wird die Reise denn gehen? Ja die Sprache ist tatsächlich sehr wichtig, die kommt aber erst mit dem Wohnen im Land so richtig. Wegen der vielen Dialekte bringt dich Bokmål am Anfang nicht so weit. Aber das schaffst du!

      Ja, mittlerweile geht es mir besser und ich habe auch meinen Arbeitsplatz gewechselt, ich hoffe ich komme bald dazu die neusten spannenden Updates zu teilen.

      Liebe Grüße
      Janine Isabel

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