dazwischen

Lichtblicke

Man nimmt sich mit, wohin man geht

Ernst Bloch

Nach vier Monaten in Norwegen wird mir bewusst, wie viel Wahrheit in diesem Satz steckt. Immer noch bin ich ein Suchender, gestrandet am Fjord.

Nach vier Monaten Arbeitsleben in Norwegen bin ich immer noch nicht angekommen, weiß immer noch nicht, wohin mit mir. Auch meine Ängste und Depressionen habe ich mitgenommen. Man kann ja nichts zurücklassen, wäre ja schade drum.

Mein Selbstbewusstsein inklusive meiner beruflichen Professionalität und Integrität habe ich an der Grenze abgegeben. Der Zollbedingungen wegen natürlich. Seit Hjørdis ist alles anders. Die Angst durchzuckt mich sobald jemand hustet und ich gehe wie auf Eiern. Mittlerweile ist es wieder ein wenig besser doch es ist ein Prozess. Meine Festplatte ist gelöscht und ich muss mir wieder ein neues Programm aufspielen. So fühlt es sich an. Die ganzen Ordner, auf denen Dinge stehen wie “Grundpflege”, “Medikamentengabe”, “Essen unterstützen”, sind alle leer. Viel war sowieso nicht mehr drin da ich sie die letzten sechs Jahre, aufgrund meiner Arbeit in funktionellen Bereichen, nicht gebraucht habe. Deswegen hat das System diese als unnötigen Speicherplatzverbrauch erkannt und Teile aus ihnen herausgelöscht. In mühsamer Kleinstarbeit muss ich sie mir nun wieder aneignen und das auch noch in einer fremden Sprache. Mir wird auch wieder bewusst, weshalb ich noch nie in einem Altenheim arbeiten wollte. Ich mag den Geruch nicht. Den Geruch nach Verfall, nach Lebensabend, nach Urin. Auch in der Übernahme der Körperpflege bin ich nicht gut. Normalerweise lerne ich schnell und kann Gezeigtes gut umsetzten doch in diesem Bereich werde ich wohl länger brauchen. Zu unsicher bin ich, zu wenig Überblick und Routine habe ich. Außerdem macht es mir einfach keinen Spaß. Wenigstens muss man sich hier keine Waschlappen Choreographie einprägen wie in Deutschland. Gesicht, Oberkörper. Wechsel. Beine, Intimbereich vorne. Wechsel. Rücken. Intimbereich hinten. Fertig. War es so? Ich weiß es nicht mehr. Hier geht der Tanz so: Gesicht, Hände, Achseln, Intimbereich, fertig.
Mein praktisches Examen 2016 habe ich verbockt weil ich einmal zu wenig den Waschlappen gewechselt und für die falsche Körperstelle verwendet habe. Nicht nur deswegen, aber auch. Etwas Gutes hat die momentane Situation allerdings. Mir macht meine schlechte Note nichts mehr aus denn ich denke, es gibt mehr, was eine gute Krankenschwester ausmacht. Was ich gerne mache ist, mich mit den Patienten zu unterhalten. Sie kennen zu lernen mit ihren Eigenarten und Gewohnheiten. Mehr über ihr Leben vor der Pflegebedürftigkeit zu erfahren. In Norwegen hat man sogar Zeit für Gespräche beim Job. Mit meinem Team komme ich mittlerweile ganz gut klar auch wenn ich mich noch nicht vollständig integriert fühle. Es gab nochmal einen Wechsel in der Chefetage. Meine neue Chefin verstehe ich leider kaum, zu ausgeprägt ist ihr Dialekt. Ich soll nun langsam damit anfangen die Aufgaben einer Krankenschwester zu übernehmen, traue mir das jedoch noch nicht zu. Die Verantwortung überfordert mich und die Sprache ragt als unüberwindbare Hürde vor mir auf. Auch ein 12 – stündiger Onlinekurs über Medikamentenlehre steht mir noch im Weg. Dieser ist auf norwegisch und ich soll ihn zu Hause machen. Unbezahlt. Auch der Schichtdienst tut mir nicht gut. Obwohl der Dienst erst um sieben beginnt komme ich beim Wechsel von der Spät – auf die Frühschicht auf maximal 6,5 Stunden Schlaf. Unter 8 funktioniere ich nicht und meine Festplatte fährt erst hoch, wenn diese 8 Stunden erreicht sind, egal ob die Hardware schon ein paar Stunden länger arbeitet.
Bald ist das Jahr zu Ende und mit ihm auch mein Arbeitsvertrag. Wie es danach weitergeht weiß ich noch nicht. Stolz werde ich trotzdem sein denn ich wusste von Anfang an, dass es hart sein würde diese 7 Monate durchzuhalten. In einem Job, den ich eigentlich doch gar nicht mehr mag.

Nach vier Monaten Natur in Norwegen wird mir bewusst, dass man sich selbst zwar immer mitnimmt, der Background hinter den Problemen aber besser werden kann, einem Kraft geben kann. Mit aufgefülltem Akku läuft mein System auch drahtlos und wenn ich morgens zur Arbeit fahre oder abends auf dem Heimweg bin wünschte ich mir oft, meine Kamera dabei zu haben denn ab und zu wartet hinter dem nächsten Berg, der nächsten Kurve, der nächsten Regenwolke ein Naturschauspiel auf mich das mich für meinen Arbeitstag entlohnt. Selbst bei Regen, Hagel und Schnee ist Norwegen das wunderschönste Land der Welt. Wenn sich das Sonnenlicht durch die Regenwolken bricht, die Sonne schon tief steht und den feinen Dunst, der sich wie ein Teppich über den Asphalt legt in ein mystisches gelbweißes Licht taucht dann muss ich kurz anhalten und das Bild auf meinen Speicher legen. Leider oftmals nicht auf den in meiner Kamera sondern auf den in meinem Kopf. Oder aber wenn der Hagel versucht, das Dach meines Autos zu zerschlagen. Dann bin ich geborgen in ihm und wenn ich in der Dunkelheit weiterfahre weiß ich, nach der nächsten Wolke hört er auf. Meine Scheinwerfer reflektieren das Licht zurück und ich blende mich selbst doch ich weiß, ich fahre nach Hause. 

Nach vier Monaten Krankheit in Norwegen wird mir bewusst, wie viel ausgeklügelter das Gesundheitssystem hier doch ist und wie viele unnötigen Zettel und Wege man spart. 
Mein Handgelenk schmerzt. Meine Hände wollen (mich) nicht mehr (be)greifen, meine Füße mich nicht mehr (er)tragen, meinem ausgeheilten Muskelfaserriss – Narbengewebe im Oberschenkel gefallen die Temperaturen nicht. Mir macht die Temperatur um mich herum nichts aus doch manchmal friere ich. Marcel vermeidet den deutschen Wetterbericht aus Neid. Doch im Sommer werden wir froh darüber sein, nicht zu zerfließen.
Im Sommer, wenn ich wieder gesund bin, werden meine Beine mich wieder den Wolken entgegentragen können und meine Hände hoffentlich lernen, nach den Sternen zu greifen.

4 Kommentare

  • Frank Brück

    Liebe Janine,
    die Schönheit der Natur kann über vieles hinweg helfen. Sie kann uns immer wieder Kraft geben über das eine oder andere in unserem Leben.

    Die Schönheit Gottes hat mir in meinen schlechten Zeiten sehr oft geholfen. Gott hat sehr viele Wunder in dieser Welt geschaffen, an denen wir uns erfreuen können. Von einer kleinen Blume am Wegesrand bis zum Regenbogen in seinen schönsten Farben.

    Die Arbeit ist nicht immer das wichtigste in unserem Leben aber ein Bestandteil unseres Lebens. Wenn die Arbeit dann noch Spaß macht, hat man sehr viel Glück gehabt. Leider kommt das nicht häufig vor vielleicht hast du das Glück, deinen richtigen Job zu finden, um glücklich zu sein!

    Gott wird Dir helfen und Dich auf deinen Weg begleiten.

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4 Kommentare

  • Frank Brück

    Liebe Janine,
    die Schönheit der Natur kann über vieles hinweg helfen. Sie kann uns immer wieder Kraft geben über das eine oder andere in unserem Leben.

    Die Schönheit Gottes hat mir in meinen schlechten Zeiten sehr oft geholfen. Gott hat sehr viele Wunder in dieser Welt geschaffen, an denen wir uns erfreuen können. Von einer kleinen Blume am Wegesrand bis zum Regenbogen in seinen schönsten Farben.

    Die Arbeit ist nicht immer das wichtigste in unserem Leben aber ein Bestandteil unseres Lebens. Wenn die Arbeit dann noch Spaß macht, hat man sehr viel Glück gehabt. Leider kommt das nicht häufig vor vielleicht hast du das Glück, deinen richtigen Job zu finden, um glücklich zu sein!

    Gott wird Dir helfen und Dich auf deinen Weg begleiten.

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