dazwischen

Mein Abschied als Krankenschwester

Tschüss NBBS2

Meinen letzten Frühdienst saß ich zu Hause, mit Schmerzen im Fuß. Anscheinend ertrage ich keine Abschiede.
Die zehn Monate auf der Langzeitabteilung in Kolvereid werden mir immer im Gedächtnis bleiben. Mein erster norwegischer Arbeitsplatz. Es gab Tage, da habe ich es gehasst, zur Arbeit zu fahren, das Aufstehen fiel mir schwer. Das Eintauchen in die norwegische Welt, die norwegische Kultur, den ganzen Tag in einer fremden Sprache zu sprechen und nur wenig zu verstehen. Das Verständnis der Sprache wurde von Tag zu Tag mehr, zeitgleich nahm das Verständnis für die Mentalität und die Arbeitsweise der Norweger ab. Es ist so vieles anders.

Ich erinnere mich noch gut an meine Nervosität an meinem ersten Arbeitstag auf der Akutstation, an den Beginn auf der Langzeitabteilung als ich dachte, alles könnte gut werden, dass ich in meinem Beruf vielleicht doch noch Berufung finden kann. Dann kam Hjørdis, dann kam meine Unsicherheit zurück, dann wurde ich unsichtbar.

Ein paar Monate später mein zweiter Arbeitsbeginn auf derselben Abteilung. Von Pflegehelferin zu Krankenschwester. Selbe Abteilung zwar, jedoch ein ganz anderer Job der ja eigentlich MEIN Job ist. Ich weiß jetzt mit Bestimmtheit, dass ich nicht dafür geschaffen bin, in einem Altenheim zu arbeiten. Visite, Dokumentation, Venenkatheter legen, Blut abnehmen, Organisation, das alles hat mir Spaß gemacht, ich war gut darin, war schnell eingelernt. Doch alles andere wurde mir nicht zugetraut. Ich wurde nicht als Krankenpflegerin wahrgenommen, hing in der Schwebe zwischen Helferin und Fachpersonal. Notfälle, Kontakt zu Angehörigen, Medikamente. Mein eigentlicher Job, den ich nicht ausführen durfte. Ich habe außerdem zu oft mich selbst über das Wohl derjenigen gestellt, die der Grund dafür sind, wieso die Arbeit im Altenheim so wichtig ist: den Patienten. Wer Alte und Kranke pflegt, der soll dies mit Freude tun sagt die Bibel. Tut mir leid Jesus, das konnte ich leider oftmals einfach nicht. Die Übernahme der Körperpflege hat mir noch nie Spaß oder Freude bereitet, egal, wie viel ich mich versucht habe in die andere Person hineinzuversetzen. Vielleicht ist es auch nur das Altern an sich, dass mir Angst macht. Ich brauchte den Abstand, vielleicht betrachten deswegen so viele im NBBS den Job nur als Job. Damit sie nicht durchdrehen. Der Tod schleicht durch die Flure, das eigene Altwerden bringt er mit und er infiziert deinen Kopf damit. Das Altern in Würde. Etwas, dass in Norwegen teilweise noch möglich ist. Doch auch hier sind Grenzen spürbar. Die Grenzen der Empathie sind erreicht, wenn man Patienten das Sterben verwehrt und sie mit Antibiotika totbehandelt, dass sie gar nicht mehr haben wollen. Die Blase spült, weil es der Tagesablauf verlangt, anstatt den Blutdruck zu messen, wenn es dem Patienten akut schlecht geht. Frühstück serviert, obwohl der Patient sich übergibt. Den Patienten in den Rollstuhl mobilisieren muss, obwohl er lieber im Bett läge, Mobilisation auf Wunsch der Angehörigen, nicht des Patienten. Reanimation, Schlaganfall, die Selbstständigkeit ist dahin. Ich habe keine Angst vorm Sterben, doch ich habe Angst davor, alt zu werden. 

Raum 211. Du warst einer meiner Lieblingspatienten den die Demenz einholt. Der versucht, ihr auf dem Gang in winzigen, schwankenden Schritten zu entkommen. Verheiratet mit einer Deutschen, die ich nie zu Gesicht bekam, obwohl sie im Nebengebäude gelebt hat. Der Tag zwischen Guten Morgen und Gute Nacht wird kürzer, die Demenz schiebt sich in den Tagesablauf und nimmt Stück für Stück Lebensqualität und Zeit. Zeit, die ihre Bedeutung verliert. Ich werde dich vermissen, 211. Doch bald werde ich vergessen sein, trotz der Tränen, die du weintest, als ich ging.

Raum 214. Dieser Raum löst so viele Gefühle in mir aus, dass ich  froh war, dass man mir anscheinend nicht zugetraut hat, die Pflege dort zu übernehmen. Fast 80 Jahre lang von Krankheit und Tod verschont. Der Tod kommt auf dem Küchenboden, die Tochter entreißt dich ihm wieder. Der Schlaganfall, der die linke Seite lähmt, die Sprache nimmt, das Schlucken nahezu unmöglich macht und dazu führt, dass dein Darm alles unverdaut wiedergibt. So viel Scham, so viel Verzweiflung, so viel Nicht-wahrhaben-wollen von Angehörigen, die dich zu Weihnachten mit am Tisch sitzen sehen. Das alles lebt in Raum 214 und dazwischen du. Von gesund zu Schwerstpflegefall innerhalb von Stunden. In deinen Augen liest man Verzweiflung, liest man Resignation und Depression. Der Lebenswille ist erloschen und in deine Augen zu blicken ertrug ich deshalb nicht. Ich wünsche dir das Beste, auch wenn ich nicht weiß, was das für dich ist.

Seitenwechsel, von A nach B

Raum 213. Manchmal genauso unsichtbar wie ich. Der Tagesablauf ist immer derselbe, keinerlei Veränderung, Stillstand. Du warst eine einzelne Kontraktur, dein Körper hat sich unter der Last des Alterns zusammengekrümmt und mit sanfter Gewalt musste man deine Arme bewegen, um dich an- oder ausziehen zu können. Deine Sprache ging auf dem Weg in die Bettlägerigkeit verloren doch dein Mann, der zuverlässig jeden Abend an deinem Bett sitzt und deine Hand, die sich tagsüber an dir selbst oder deinen beiden Kuscheltieren festklammert, nimmt und festhält, versteht dich auch ohne sie. Wenn er da ist, entspannen sich deine Arme und oftmals sitzt ihr in Seligkeit nebeneinander, schaut gemeinsam fern oder schlaft. Ich werde dich vermissen, 213. 

Raum 215. Ein alter Seemann der Frauen an jeder Küste hatte, doch nur an der unseren jemals zu Hause war. Auch hier der vollständige Hilfebedarf, volle Unterstützung doch essen und auf die Pflegeklingel drücken, um uns zu holen, das war kein Problem, und du riefst uns oft. Du liebtest Schokolade, Süßigkeiten und Cola. Deine blauen, schelmischen Augen und dein verschmitztes Lächeln werde ich ebenfalls nie vergessen, auch wenn diese Augen inzwischen mit neuen Pflegekräften in Namsos flirten.  Ich werde dich vermissen, Raum 215.

Raum 216. Ein Kurzzeitpflegezimmer ohne Aufzug an der Decke. Ein Kommen und Gehen doch am Ende bliebst du. Sitzend, vor dem Fernseher, deine langen Beine schmerzhaft steif. In jeder Schicht eine Runde zum Gemeinschaftsraum und zurück. Die einzige Wanderung, die du noch machst. Ich werde dich vermissen, Raum 216.

Raum 221. Dem Raum, in dem ich am liebsten war. In dem ich mich jederzeit willkommen fühlte und in dem ich gerne neben dir saß. Unser Glaube verband uns, du warst für mich wie eine norwegische Großmutter. Wenn ich in den Urlaub fuhr, batst du mich, zurückzukommen. Ich sei willkommen, jederzeit. Der einzige Ort im Altenheim in dem ich mich so fühlte. In dem ich die Erfahrung machen durfte, dass Sprache nicht alles ist, was einen verbindet und dass es Sprache nicht immer braucht. Wichtiger sind Gesten, wichtiger ist Zeit, die man schenkt, zuzuhören, auch wenn nicht jedes Wort verstanden wird. Interesse zu zeigen, sich einzulassen. Leider hat Corona den Abschied zu dir unmöglich gemacht, durch Schutzanzug und Maske wurde ich nicht mehr von dir erkannt. Doch vielleicht ist
ein stiller Abschied auch der Beste. Ich hoffe, du darfst sterben. Einen Wunsch, den du schon so lange hast. Du bist müde, erschöpft, hast dein Leben gelebt. Auch wenn deine Tochter, die selbst Krankenschwester war, dich am liebsten jeden
Tag in deinem Rollstuhl sitzen sehen würde bist du doch einfach nur noch müde und willst dem Tod entgegenliegen. Ich bin jedoch froh darüber, dass dich der Tod bei einem seiner unzähligen Besuche noch nicht mitgenommen hat und ich dich
kennen lernen durfte. Dich werde ich am allermeisten vermissen, Raum 221. 

Raum 225. Mit dem Rollstuhl rufend durch die Gänge rollend. Undeutliche Sprache, du warst immer am schwersten zu verstehen.  So selbstständig und doch so abhängig. Man musste dich gut im Auge behalten, damit du nicht mit dem Aufzug nach unten flohst. Flucht vor einem Leben, dass du nicht mehr verstehen kannst. Ich werde dich vermissen, Raum 225. 

Raum 214. Dir so ähnlich ist deine Nachfolgerin in diesem Zimmer. Doch in dir war noch ein Rest Lebensfreude spürbar. Die Musik hat dein Leben begleitet, du hast sie gelehrt und wirst vielen Menschen noch lange in Erinnerung bleiben, mit all deinen Klängen. 

Raum 226. Du hast mich so an Opa erinnert. Dein tragischer Tod eine einzige Tragödie und ein Versagen vom Krankenhaus. Ich war gerne bei dir, in Raum 226. 

Raum 222. So will ich werden, wenn ich alt bin. Glücklich, lachend, Unsinn redend den außer mir niemand versteht. In meiner Welt leben, Dinge sehen, die sonst keiner sieht. Nicht mehr mitbekommen, wenn ich Hilfe brauche und sie ohne Fragen und ohne Gram anzunehmen. Immer mit der Baby Born Puppe in der Hand, in Erinnerung an den ertrunkenen Sohn. Babys machen dich glücklich, trotzdem. Deine wachen Augen hinter dem Schleier aus Vergessenheit. Schelmisch, die Jugend noch im Blick, verschmitztes Lächeln, zu niemandem hin.
Ich werde dich vermissen Raum 222. 

Raum 223. Die Prinzessin mit dem Räusperzwang. Meistens sehr zufrieden. Emotional in den Sessel im Zimmer gebunden. So dankbar bist du, für alles, was wir dir brachten. So viel Dankbarkeit in Raum 223. So viel Freude. Schräge Lieder die du zur Aufmunterung über den Flur schickst. Musik ist deine Leidenschaft. Jeden Morgen war es wichtig, den Blutfluss in Gang zu bringen, ein bisschen Gymnastik. Mit den Armen wedelnd, der Versuch, dem Leben davonzufliegen. Die Bilder auf dem digitalen Bilderrahmen – lebendig für dich. Deine Familie, mit der du dich unterhältst. Ich werde dich vermissen, Raum 223.

So viele sind gegangen, in diesen 10 Monaten.

Angefangen mit dir, Hjördis, Raum 212. Dein Nachfolger blieb auch nicht lange. Trisomie 21 in Kombination mit Demenz verlängern das Leben leider nicht. Doch du warst so ein Sonnenschein für uns alle. 

Raum 224. Eine ehemalige Krankenschwester, Fachkraft für Diabetes, die am Ende auch zu ihrem Lebensalltag wurde. Verbittert, mit den Kindern verstritten aufgrund von Gewalt, statt Liebe. Leider hast du nie Vergebung erfahren dürfen. Doch am Ende war das nicht mehr wichtig, wir saßen neben dir als du gehen durftest. 

Das alles werden Erinnerungen sein, die ich mitnehmen werde auf meine Reise.

Die mir dabei helfen, meinen Beruf neu zu bewerten und die zugleich meine letzte Station als Krankenschwester sind. Ich will nicht mehr leben zwischen Sterben und Tod. Will nicht mehr so viel Verantwortung tragen, will nicht mehr so viel Abschied nehmen müssen.

 

Doch egal in welchem Beruf. Ich will nächstes Mal besser darin sein zu sehen, zuzuhören und meine Sicht nach außen, statt nach innen richten. Ich will mutiger sein und weniger unsichtbar. Will mehr sprechen, mich mehr wehren, gute Ideen einbringen und durchsetzen. Das System verbessern. Auch wenn es vielleicht nicht verbessert werden will. 

3 Kommentare

    • Frank Brück

      Ein wunderschöner Abschied, nicht wissend, was da Neues kommen wird? Ein Lebensabschnitt, ein Hauch von Zeit, etwas was man nicht vergessen kann.

      Erfahrungen des Lebens. Die nimmt niemand mehr weg!

      Irgendwann kommt ein Neustart, neue Erfahrungen, doch das Vergangene bleibt.

      Traurigkeit löst sich ab mit Heiterkeit, ein Auf und Nieder der Gefühle. Was einem bleibt ist der Glaube auf eine andere Zeit. Eine Zeit ohne Tränen und Traurigkeit, ohne Schmerz und Leiden, nie mehr!

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3 Kommentare

    • Frank Brück

      Ein wunderschöner Abschied, nicht wissend, was da Neues kommen wird? Ein Lebensabschnitt, ein Hauch von Zeit, etwas was man nicht vergessen kann.

      Erfahrungen des Lebens. Die nimmt niemand mehr weg!

      Irgendwann kommt ein Neustart, neue Erfahrungen, doch das Vergangene bleibt.

      Traurigkeit löst sich ab mit Heiterkeit, ein Auf und Nieder der Gefühle. Was einem bleibt ist der Glaube auf eine andere Zeit. Eine Zeit ohne Tränen und Traurigkeit, ohne Schmerz und Leiden, nie mehr!

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