dazwischen

Neue Wege

Veränderung

Auf neuen Pfaden gehen, Norwegen kennenlernen. Neue Möglichkeiten finden. Abenteuer erleben. Alle Sicherheiten hinter uns lassen.
Das ist das Ziel.
Wir verkleinern uns, tauschen ein Haus gegen einen Wohnwagen. Frisch renoviert, ein zu Hause auf Rädern. Keinen festen Wohnsitz mehr, das Heim an der Anhängerkupplung, die Zukunft ungewiss. Wir wagen das, was mittlerweile einige in unserem Alter tun, wovon viele sprechen und wovon viele träumen.
Wir suchen.
Wir suchen einen Platz für uns, eine Arbeit, die uns Spaß macht, ein Lebensziel, einen Sinn in der Welt, unser zu Hause. Ob wir das alles innerhalb des Jahres, dass vor uns liegt, finden werden steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Wir werden es wohl erst herausfinden, wenn wir angekommen sind.
Wo auch immer, wann auch immer.

Natürlich müssen die Katzentiere mit. Sie haben keine Wahl, gestalten die Reise aber noch ein wenig spannender und sind mein größtes Fragezeichen. Geht das gut? Können sie akzeptieren, alle drei bis vier Monate aus ihrer Umgebung gerissen zu werden? Werden sie den Wagen als ihren Wohlfühlort, ihre Sicherheit, ihr Refugium anerkennen? Werde ich das können? Oder beenden Casimier und Soraya unserer Reise, bevor sie angefangen hat?

Anfangen soll sie so richtig Anfang Oktober. So halb beginnt sie allerdings schon jetzt. Ich hatte im März meine Stelle auf Ende April gekündigt und vom Altenheim Abschied genommen. Am 1.Mai begann ich auf Nubdalseng. Im Juni stößt Marcel dann zu mir und ab Ende Juli werden wir dann in unserem Wohnwagen gemeinsam auf Nubdalseng leben. Das wird die Bewährungsprobe für unsere Katzen und auch für uns. Der Ausbau geht leider viel schleppender voran als gedacht. Der Lack will nicht decken, die Schraubentürme häufen sich und wir hoffen, wir werden uns am Ende daran erinnern können, welche Schraube an welchen Platz gehört. 
An welchen Platz wir gehören wissen wir auch noch nicht.

Wir haben beschlossen, unserer Reise im Norden zu beginnen und uns nach Süden durchzuarbeiten. Obwohl die meisten Menschen im Winter in den hellen, warmen Süden fliehen, zieht es uns in den Norden. Wir wollen spüren, wie es ist, in dieser Dunkelheit zu leben. Wollen die Polarlichter in ihrer vollen Pracht bewundern können, wollen uns am Ende der Welt einschließen, uns aus dem Leben ausklinken.
Am wohl schönsten Weltenende: Nyksund.

Dort werden wir hoffentlich erfahren, wie viel dran ist am Gerücht, dass im Norden die Norweger freundlicher und aufgeschlossener sind. Vorausgesetzt wir verstehen den nordischen Dialekt. Glücklicherweise leben wir jetzt schon an direkter Grenze zum Nordland und ein bisschen was schwappt dialektisch zu uns rüber. In Nyksund werden wir Ssemjon dabei helfen, sein Dach zu decken und andere Reparaturarbeiten durchzuführen. Ssemjon, einer der 15 Bewohner auf Nyksund, ist Deutscher und betreibt auf der kleinen Halbinsel im Atlantik ein Restaurant und ein Hotel. Das wohl urigste, schönste Hotel, in dem ich je eine Nacht verbringen durfte. Restauriert aus alten Baumaterialien, wiederverwertet und neu in Form gebracht. Verliebt habe ich mich in dieses Eiland von Glück im Sommer 2020, als ich ein Auszeit-Wochenende dort verbrachte, während meiner Zeit auf der Huskyfarm.

Langsam mischt sich auch Vorfreude in meine Ängste, meine Zweifel, meine noch offenen Fragen. Werden wir weiterhin krankenversichert sein? Ich habe bei sämtlichen mir bekannten Stellen nachgefragt, um diese Frage zu klären, doch habe ich leider keine zufriedenstellende Antwort erhalten. Das Skatteetaten (das Finanzamt) verweist mich zur HELFO (dem Versicherungsträger) und die HELFO zum NAV (dem Arbeitsamt). Das Gesetzt besagt: Wer einen festen Wohnsitz hat, ist und bleibt im folketrygden, dem sozialen Sicherheitsnetz. Doch gilt das auch für Einwanderer, die erst ein Jahr hier heimisch sind?
Ob das Sicherheitsnetz uns dann weiterhin trägt, werden wir erst im Oktober endgültig erfahren. Diese Unsicherheit macht mich verrückt.

Verrückt macht mich außerdem der Gedanke an die Enge. Nicht nur für die Katzen wird die verkleinerte Wohnfläche ein Drahtseilakt, auch für unsere Beziehung wird es intensiv werden. 24/7 zusammen. 24/7 eingesperrt in ca. 15qm. In Form gepresst. Kein Platz, um auszuweichen. Von ganzen Vormittagen, die ich unter der Woche allein zu Hause verbringen durfte als ich noch im Schichtdienst gearbeitet habe hin zu 24/7 wir.

Eine weiter Folge des Platzmangels wird sein, dass das Training leider eine Weile nicht mehr wie gewohnt weiterlaufen können wird. Das Training, dass ich brauche, um abzuschalten und über meine Grenzen zu kommen. Das mich aufrichtet und das mich endophiniert. Wir können nicht zu viele Trainingsgeräte mitnehmen, sonst werden wir wieder einmal zu schwer. Auch unser aktuelles Trainingsprogramm wird wahrscheinlich nicht mehr bezahlbar sein und wir werden unser Abonnement kündigen müssen. Uns selbst etwas ausdenken, uns selbst zum Training aufraffen, Eigenantrieb und Eigeninitiative entwickeln.

Doch letztendlich führt diese Enge paradoxerweise zu mehr Freiheit. Ich bin gespannt darauf, wie viel Freiheit ich aushalte. Wie viel freie Zeit nur mit mir. Ein Stück weit die Kontrolle abgeben zu müssen. Mich auf das Ungewisse einlassen, mir meine Zeit frei einteilen, Eigenverantwortung lernen und die in mir drängenden und lauter werdenden Gedanken an die Zukunft und daran, dass ich ja dringend einen Plan brauche, den ich allerdings nicht habe, einfach für eine Weile abzuschalten.
In der Ungewissheit durchzuhalten. Lernen, mich auszuhalten. Lernen, auf Gott zu vertrauen.
Gewinnen oder verlieren wir Lebenszeit auf dieser Reise? Verlieren wir ein Jahr oder bringt uns dieses Jahr innerlich weiter? 

Ich habe das Gefühl, dass die Uhr tickt, doch ich weiß nicht, wohin. Mit jedem Zeigerschlag nähere ich mich meinem 30. Lebensjahr und das macht mir Angst. In mir wächst der Druck mit jeder Sekunde. 30. Kinder, Hauskauf, beruflich glücklich. All das sollte ich mit 30 doch schon lange geschafft haben oder zumindest auf dem Weg dorthin sein. Doch ich ändere meinen Weg ständig. Ist es eine Flucht vor mir, eine Flucht vor Verantwortung, vor Entscheidung? Oder wird dieses Jahr mir eine Richtung geben, einen Ort schenken, eine Zukunft? 30 Jahre und noch ist nichts erreicht, so fühlt es sich manchmal an. Diese 30, die ungefähr die Hälfte meines Lebens markiert, steht drohend vor mir. Doch ich gehe ihr entgegen und versuche, durchzuhalten. Durch die Ungewissheit zu gehen und hoffentlich bei Gewissheit zu enden. Und wenn nicht, dann ist es auch nicht so schlimm, dann beginne ich einfach wieder von vorn.

Ein Kommentar

  • Frank Brück

    Liebe Janine,
    Wir sind bei euch!
    Alles wird gut gehen und Ihr werdet euren gemeinsamen Platz finden.
    Gottes Segen für eure Wege!

    Dein größter Fan

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  • Frank Brück

    Liebe Janine,
    Wir sind bei euch!
    Alles wird gut gehen und Ihr werdet euren gemeinsamen Platz finden.
    Gottes Segen für eure Wege!

    Dein größter Fan

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